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»Ihr Körper ist für immer gezeichnet«

Eine Rechtsanwältin dokumentiert Folter-Verbrechen gegen Menschen aus der Ukraine

  • Bernhard Clasen
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Anwältin Tamila Bespala träumt von einem Rehabilitationszentrum für gefolterte Zivilisten, in dem sie behandelt werden können.
Die Anwältin Tamila Bespala träumt von einem Rehabilitationszentrum für gefolterte Zivilisten, in dem sie behandelt werden können.

Seit Jahren berät die in Charkiw lebende Rechtsanwältin Tamila Bespala Opfer von russischen Kriegsverbrechen. Über 9000 Akten haben sich mittlerweile in ihrem Charkiwer Büro angesammelt. Akten, die die Anwältin an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und den Menschenrechtsrat der Uno weiterleitet. Bespala ist seit vielen Jahren Anwältin der Menschenrechtsgruppe Charkiw, eine der ältesten und renommiertesten Menschenrechtsorganisationen der Ukraine. Vom Kölner Kopelew-Forum wurde die Gruppe mit dem »Preis für Frieden und Menschenrechte 2023/2024« ausgezeichnet.

Aktuell sind es vor allem zwei Themen, die der Anwältin den Schlaf rauben: die Zwangsrekrutierungen der ukrainischen Militärbehörde TZK und die vielen Fälle von Gewalt gegenüber Menschen, die den russischen Besatzungstruppen in die Hände gefallen sind.

Zwangsrekrutierungen nehmen in ihrer Härte zu

Die Zeiten, in denen sich ukrainische Männer freiwillig zur Armee gemeldet haben, sind vorbei. Die Zahl der ukrainischen Männer, die 2024 illegal die Grenze nach Rumänien überquerten, hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht, berichtet Florin Coman von der rumänischen Grenzpolizei auf einer Pressekonferenz. Laut Coman haben in den letzten drei Jahren über 21 000 Männer im wehrfähigen Alter illegal die Grenze nach Rumänien überquert.

Und deswegen nehmen die Zwangsrekrutierungen in ihrer Härte zu, werden die Vorschriften verschärft. Seit Anfang März stellt das Kulturministerium keine Sonderbescheinigungen mehr für Journalisten und Kulturschaffende aus. Jeder fünfte Kulturschaffende war laut Kulturminister Mykola Totschytzkyj vom Oktober nach einer Auslandsreise nicht mehr in die Ukraine zurückgekehrt. Seit dem 1. März ist nun auch Achtzehnjährigen ein Kriegseinsatz erlaubt, wenn diese dies freiwillig tun.

Kulturschaffende setzen sich ins Ausland ab

Für Tamila Bespala ist die Zwangsrekrutierung, »Bussifizierung« genannt, das schreiendste Problem in der Ukraine. Insbesondere in Charkiw, so Bespala, mache man regelrecht Jagd auf junge Männer. Männer, die morgens zur Arbeit gehen, finden sich oftmals, wenn sie das Pech hatten, einer TZK-Streife zu begegnen, in einem Bus und wenig später in einem Keller wieder, wo sie festgehalten werden wie in einem Gefängnis. Auch Tuberkulose-Kranke und Drogensüchtige werden mobilisiert.

Zwar dürfen in der Ukraine nur Männer ab 25 Jahren zur Front einberufen werden. Doch auch jüngere Männer kämpfen an der Front, wenn sie sich freiwillig gemeldet haben. »Mir sind einige Fälle von jungen Männern bekannt, die gezwungen wurden, sich ›freiwillig‹ zur Armee zu melden«, berichtet Bespala.

Auch die Wirtschaft leide unter den Zwangsrekrutierungen. »Wenn ich mein Auto in die Werkstatt bringen will, dauert die Reparatur sehr lange. Die meisten der Mitarbeiter seien an der Front«, hatte ihr kürzlich der Chef einer Autowerkstatt mitgeteilt.

Folter mit Geheimdienstmethoden in besetzten Gebieten

Opfer berichten von systematischen Folterungen und Misshandlungen, die unabhängig von Geschlecht und Alter in den von Russland besetzten Gebieten angewandt werden. Besonders erschreckend, so Bespala, sei die Tatsache, dass auch ältere Frauen über 70 Jahre Opfer sexueller Gewalt wurden, ebenso wie Männer und junge Frauen. Diese Grausamkeiten sind keine Einzelfälle.

»Das darf man nicht verschweigen, diese systematische Folter in russischer Haft. Die Zahl der Selbstmorde unter den Opfern, insbesondere bei ehemaligen Kriegsgefangenen, ist erschreckend hoch. Viele, die aus der Gefangenschaft zurückkehren, begehen Suizid, sobald sie sich in relativer Sicherheit fühlen. Sie können das Erlebte nicht verarbeiten und sehen keinen Ausweg.

Auch Alte werde Opfer sexueller Gewalt

Besonders perfide ist die Art der Foltermethoden, die offenbar auf einer gezielten Ausbildung basieren. Ehemalige Angehörige von Sicherheitskräften und Soldaten, so Bespala, berichten nach ihrer Freilassung aus der Gefangenschaft, dass die Täter nach bestimmten Handbüchern geschult wurden, die von Geheimdiensten genutzt werden. Dabei werden Techniken angewandt, die bleibende Schäden verursachen, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen. Eine besonders grausame Methode bestehe darin, Opfer in eine spezielle Fesselhaltung zu zwingen, die die Blutzirkulation unterbricht und lebenslange Herz-Kreislauf-Probleme verursacht. Menschen mit schwachem Herzen überleben diese Tortur oft nicht.

Viele Opfer, die aus der Gefangenschaft zurückkehren, leiden unter schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen. «Diejenigen, die jung und sportlich waren, konnten die Tortur vielleicht körperlich überstehen, aber ihr Körper ist für immer gezeichnet. Sie haben chronische Kreislaufprobleme, Nasenbluten, Ohnmachtsanfälle – ein normales Leben ist für sie nicht mehr möglich», berichtet eine Menschenrechtsaktivistin.

Misshandlungen führen zu dauerhafte Schäden

Neben der physischen Folter spielt auch sexuelle Gewalt eine zentrale Rolle. Männer und Frauen werden gleichermaßen Opfer von Vergewaltigungen, oft mit zusätzlichen physischen Misshandlungen, die zu dauerhaften Schäden führen. Die Täter setzen Stromschläge an den Genitalien ein und zwingen oftmals Gefangene, nackt in eisiger Kälte auszuharren.

«Die massenhaften sexuellen Übergriffe hinterlassen nicht nur körperliche Narben, sondern auch tiefe seelische Wunden. Viele Männer haben nach ihrer Freilassung keine Libido mehr, was zeigt, dass diese Methoden gezielt eingesetzt werden», erklärt die Menschenrechtsanwältin.

«Diese Menschen sind körperlich und seelisch gebrochen. Viele sind durch die Folter zu Invaliden geworden. Sie benötigen dringend umfassende medizinische Versorgung und psychologische Betreuung. Mein Traum ist ein Rehabilitationszentrum, wo vor allem Zivilisten, die ja oft vergessen werden, behandelt werden», so Bespala zu «nd».

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