Potsdam-Babelsberg: Jugend auf dem Abstellgleis

Heranwachsende weichen zum Bahnhof aus, seit der Schlosspark Babelsberg nachts schließt

  • Ralf Fischer
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Bahnhof Babelsberg ist zu einem umstrittenen Treffpunkt für die Jugend geworden.
Der Bahnhof Babelsberg ist zu einem umstrittenen Treffpunkt für die Jugend geworden.

Das Umfeld des Potsdamer S-Bahnhofs Babelsberg ist in letzter Zeit zu einem beliebten Treffpunkt für Jugendliche und Heranwachsende avanciert. Der Ort bietet sich an, da er mit den öffentlichen Verkehrsmitteln wie Bus, Straßenbahn und S-Bahn gut erreichbar ist und auf kleinem Raum eine äußerst attraktive Infrastruktur bietet. Hier gibt es ein Kino, den Fanladen des SV Babelsberg 03, Spätverkäufe, Kneipen und Bistros. Seit die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten die Tore vom Park Babelsberg am Abend abschließt, weichen viele Jugendliche auf Bänke und Treppenabsätze rund um den Bahnhof aus. Das gefällt nicht allen Anwohnern im Stadtteil. Immer wieder wurde nach mehr Polizeistreifen und stärkerer Präsenz des Ordnungsamtes gerufen.

»Was wir in Babelsberg erleben, ist eine Situation, die sich in den letzten Monaten unnötig hochgeschaukelt hat«, erklärt Potsdams Linksfraktionschefin Isabelle Vandré gegenüber »nd«. Statt mit Polizei und Repression auf die Situation zu reagieren, hätte sich die 35-Jährige gewünscht, dass es einen besonnenen Umgang mit den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bewohner im Kiez gibt. Es liegt zu viel Müll herum? »Dann brauchen wir mehr Mülleimer und eine ausgeprägtere Kultur der Achtsamkeit und Solidarität«, kontert Vandré die derzeit als Problemlösung dargestellten Polizeieinsätze.

Ebenso häufig wird der Vorwurf erhoben, die Jugendlichen seien zu laut. Dies entziffert die Politikerin als eine klare Botschaft, dringend zu handeln. Es fehle nämlich in Babelsberg an Orten, wo Jugendliche sich ungezwungen treffen können. »Es ist ganz offensichtlich, dass es in Babelsberg viel zu wenige altersgerechte Freizeitmöglichkeiten fernab des Konsumzwangs gibt«, sagt Vandré, die früher im Landtag saß und bei der Wahl am 23. Februar in den Bundestag einzog. Dies sei auch keine neue Erkenntnis, sondern werde seit Jahren angesprochen und immer wieder kritisiert.

»Die Stadtspitze muss endlich die legitimen Interessen der Jugendlichen akzeptieren, statt sich an ihrer Kriminalisierung zu beteiligen.«

Lutz Boede Stadtverordneter

»Im Stadtteil Babelsberg gibt es eigentlich nur den Fanladen für jugendliche Fans des SV Babelsberg 03, aber keinen klassischen Jugendklub«, sekundiert Lutz Boede, Stadtverordneter der linksalternativen Fraktion »Die Andere«. Im Park Babelsberg sei das Betreten der Rasenflächen eigentlich verboten. Abends schließt die Schlösserstiftung die Tore ab. Das Strandbad Babelsberg wurde verkleinert, und der angrenzende Badestrand, der bislang geduldet wurde, wird gerade durch einen Zierrasen ersetzt. Viel bleibt nicht übrig. Wer also nicht in einer Villa am Griebnitzsee wohnt, »trifft sich mit seinen Freunden irgendwo am Bahnhof auf einer Bank oder einem Treppenabsatz«, bringt Boede die Situation auf den Punkt.

Die derzeitigen Konflikte mit Jugendlichen und Heranwachsenden sind das Ergebnis einer verfehlten Politik. Babelsberg gilt als ein äußerst beschaulicher Stadtteil. Lutz Boede zufolge sei »es wenig nachvollziehbar, dass ausgerechnet dieser Teil der Stadt überhaupt in den Fokus von Polizei und Ordnungsamt gerückt ist«. Darüber hinaus ist er alarmiert, was die Methoden betrifft, die von der Polizei angewendet werden. So sollen Polizisten herumsitzenden Jugendlichen die Mobiltelefone weggenommen haben, um die Kontakte durchzublättern und Nachrichten zu lesen. Des Weiteren sollen laut dem Stadtverordneten Polizeibeamte unangemeldet in Schulsekretariaten aufgetaucht sein, um dort Fotos von Schülern vorzuzeigen und die Herausgabe von Daten zu verlangen.

Linksfraktionschefin Vandré fordert von der Stadt Potsdam, endlich die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zur Priorität zu machen, und das nicht nur bei der Suche nach Lösungen für Konflikte. »Statt bei Jugendclubs und Freizeiteinrichtungen zu sparen, müssen wir gerade jetzt – in dieser Haushaltslage – investieren«, erklärt Vandré. Der Stadtteil Babelsberg brauche mindestens einen eigenen Jugendclub, legale Graffitiflächen und einen Ort, an dem sich Jugendliche ohne Stress mit Anwohnenden und Polizei treffen können.

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Diesen Forderungen schließt sich Lutz Boede an: »Die Stadtspitze muss endlich die legitimen Interessen der Jugendlichen akzeptieren, statt sich an ihrer Kriminalisierung zu beteiligen.« Jugendliche bräuchten Freiräume, »in denen sie sich ohne Gängelei und Kontrolldruck treffen und ihre Freizeit verbringen können«. Die Landeshauptstadt sei in der komfortablen Situation, »dass es hier eine starke alternative Jugendkultur gibt, die demokratische Werte vertritt und sich gegen den Rechtsruck stellt, der im ganzen Land zu spüren ist«. Die Stadtpolitik sollte diese Jugendkultur einfach nur in Ruhe lassen.

Betroffene und Augenzeugen der Polizeimaßnahmen in Babelsberg können sich bei der Initiative www.polizeikontrollstelle.de melden. Diese sammelt Informationen und Erlebnisberichte zur Polizeitätigkeit im Bahnhofsumfeld. Einige Gedächtnisprotokolle von betroffenen Jugendlichen, aber auch besorgten Eltern liegen der Initiative schon vor. Die Informationen werden vertraulich behandelt und nur nach Rücksprache weitergegeben oder veröffentlicht.

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