Das Urteil nach fast 100 Verhandlungstagen hat Bestand

Der Dresdner Prozess gegen die »Gruppe Lina E.« war spektakulär, umstritten – und nicht der letzte in der Sache

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Angeklagter der »Gruppe Lina E.« verdeckt während des Dresdner Prozesses sein Gesicht – mit einem programmatischen Slogan.
Ein Angeklagter der »Gruppe Lina E.« verdeckt während des Dresdner Prozesses sein Gesicht – mit einem programmatischen Slogan.

Es begann mit einer Vorführung im doppelten Wortsinn. Am 6. November 2020 wurde Lina E. in Karlsruhe in Handschellen aus einem Hubschrauber geleitet, empfangen von Beamten in Sturmhauben und Pressefotografen. Die beabsichtigte Botschaft der Bilder war: Die junge Frau aus Leipzig, die dem Haftrichter am Bundesgerichtshof (BGH) vorgestellt wurde, sei hochgefährlich – »Kommandogeberin« einer kriminellen Vereinigung von Linksextremisten, wie es hieß. Es gab Schlagzeilen wie die von der »Chef-Chaotin im Minirock«. Ihr Verteidiger sah eine beispiellose »Vorverurteilung«.

Es sollte danach zehn Monate dauern, bis am Oberlandesgericht (OLG) Dresden der Prozess gegen Lina E. und drei männliche Mitangeklagte begann – ein in vielerlei Hinsicht spektakuläres Verfahren. Wegen der extremen Sicherheitsvorkehrungen rund um den extra hergerichteten Hochsicherheitssaal fühlten sich Beobachter an »eine Art Terrorverfahren« erinnert. Den Eindruck enormer Gefährlichkeit der Angeklagten verstärkte auch der Umstand, dass die anfangs von der »Soko Linx« des sächsischen Landeskriminalamtes geführten Ermittlungen von der Bundesanwaltschaft übernommen wurden und der Prozess nicht am Landgericht, sondern am OLG stattfand.

Die Bundesanwaltschaft begründete ihr Eingreifen mit der Tatsache, dass die Angeklagten aus einer, wie es im Prozess hieß, »von allen geteilten militanten antifaschistischen Ideologie« heraus das Recht in die eigenen Hände genommen und damit das Gewaltmonopol des Staates als Grundpfeiler der Demokratie erschüttert hätten. Die Verteidiger hielten das für völlig überzogen und erwiderten, die Ermittler hätten aus etlichen Körperverletzungsdelikten eine Vereinigung »konstruiert«. Der Prozess galt als das aufsehenerregendste Verfahren gegen die linksautonome Szene seit Jahren.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Zunächst dümpelte er aber monatelang vor sich hin. Die Anklage tat sich schwer damit, ihren Vorwurf der kriminellen Vereinigung zu untermauern. Das änderte sich erst, als im Juni 2022 ein Szeneaussteiger auftauchte, der bei einem der angeklagten Tatkomplexe beteiligt gewesen war, sich aber aus persönlichen Gründen aus der Szene gelöst hatte. Er belastete die Angeklagten schwer und lieferte Auskünfte über Strukturen, was dem Verfahren eine dramatische Wendung gab.

Es dauerte dann trotzdem noch ein knappes Jahr, bevor das Urteil fiel – nach 97 Verhandlungstagen und exakt 939 Tage, nachdem Lina E. in Untersuchungshaft genommen worden war. Der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats verurteilte die vier Angeklagten zu langjährigen Haftstrafen. Einen von der Verteidigung eingeforderten »Antifa-Bonus« lehnte er ab. »Bei aller berechtigten Kritik« am Umgang mit Rechtsextremismus herrsche in der Bundesrepublik keine Situation, die Notwehr notwendig mache, sagte er.

Im Fall von Lina E. fiel das Urteil mit fünf Jahren und drei Monaten aber deutlich geringer aus als von der Anklage gefordert. Das Gericht sah in ihr keine »Rädelsführerin«, hielt ihr die lange Dauer von Prozess und Haft und ihre dort verschlimmerte Krankheit zugute – sowie auch die »Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte« etwa durch die Art der Vorführung beim BGH und die Medienberichte. Auch Schlüter-Staats sah eine »echte Vorverurteilung«. Am Ende seiner zehnstündigen mündlichen Urteilsbegründung teilte er mit, dass Lina E. das Gefängnis gegen Auflagen verlassen durfte. Bis zur jetzt erfolgten Entscheidung über eine Revision war sie auf freiem Fuß.

In der linken Szene wurde Lina E. während des Prozesses zur Ikone.

-

In der linken Szene wurde Lina E. während des Prozesses zur Ikone. Wenn sie von drei Wachtmeistern in Handschellen in den Gerichtssaal geführt wurde, jubelten ihr Unterstützer zu. Ihr Name prangt bis heute in Leipzig und anderswo auf Hauswänden; die Parole »Free Lina« schreiben bei Veranstaltungen und Demos Linke immer wieder auf Transparente.

Das Verfahren gegen sie wird, wie nach der BGH-Entscheidung nun feststeht, nicht neu aufgerollt. Mindestens einen weiteren Prozess aber wird es geben. Im November 2024 war ein Mann verhaftet worden, der während der Verhandlung gegen Lina E. & Co. im Gerichtssaal allgegenwärtig war: der, wie es stets hieß, »gesondert verfolgte« Johann G. Er soll neben Lina E., seiner Verlobten, der Kopf der Gruppe gewesen sein, entzog sich aber den Ermittlern – bis zu seiner Verhaftung in einem Regionalzug bei Weimar. Danach setzte der BGH zwei gegen ihn bestehende Haftbefehle in Vollzug.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.