Starmers Kürzungspolitik stößt auf Widerstand

Großbritanniens sozialdemokratischer Premier greift zu neoliberalen Rezepten

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Kürzungspolitik wie ein Konservativer: Der sozialdemokratische britische Premierminister Keir Starmer bei einem Gespräch mit dem kanadischen Premierminister MIke Carney in der Downing Street 10.
Kürzungspolitik wie ein Konservativer: Der sozialdemokratische britische Premierminister Keir Starmer bei einem Gespräch mit dem kanadischen Premierminister MIke Carney in der Downing Street 10.

Keir Starmer hat gerade die besten Wochen seiner Amtszeit hinter sich. Inmitten der weltpolitischen Verwerfungen, die US-Präsident Donald Trump mit seiner Ukraine-Politik ausgelöst hat, konnte sich der britische Premierminister von der sozialdemokratischen Labour-Partei als eine Führungsfigur der europäischen Diplomatie positionieren. Ob seine Versuche, die USA in die Sicherheitsarchitektur in Osteuropa einzubeziehen, erfolgreich sein werden, ist noch nicht absehbar. Unbestritten ist hingegen, dass ihm sein Aktivismus viel Ansehen eingebracht hat, nicht nur in Europa, sondern auch zu Hause. Seine Zustimmungswerte sind Anfang März gestiegen, und Starmer hat auch von seinen politischen Gegnern Zuspruch geerntet.

Doch mit seinem innenpolitischen Kurs macht sich der Premierminister zunehmend Feinde. Am Dienstag gab seine Regierung ihren bislang kontroversesten Plan bekannt: eine starke Beschneidung der Sozialleistungen für behinderte Menschen. Künftig wird es mehr Hürden geben für den Bezug des »Personal independence payment«, der wichtigsten Sozialleistung für Behinderte. Auch soll es schwieriger werden für Personen unter 22 Jahren, Invaliditätsgeld in Anspruch zu nehmen. Bei der Vorstellung des Planes im Unterhaus sagte Arbeitsministerin Liz Kendall, die Reform werde den Leuten helfen, sich wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es ist jedoch vor allem eine Sparmaßnahme: Die Kürzungen sollen bis 2030 umgesetzt werden und ab dann jährlich 5 Milliarden Pfund (6 Milliarden Euro) einsparen.

Kritik von Behindertenorganisationen

Die Kritik von Behindertenorganisationen fiel heftig aus. Für die Lebensstandards von betroffenen Menschen seien die Sparmaßnahmen »eine Katastrophe«, sagte James Taylor von der Stiftung Scope. Unbehagen machte sich auch in den Reihen der Labour-Partei breit. Der Abgeordnete Clive Lewis fragte Kendall, ob sie sich bewusst sei, welch große Schwierigkeiten sie Menschen bereite, »die jetzt schon am Abgrund stehen«. Er fügte hinzu, dass gerade eine Labour-Partei so etwas nicht tun sollte. Viele andere Labour-Hinterbänkler äußerten sich ähnlich kritisch.

Die Gefahr für Starmer ist, dass sich solche Stimmen mehren könnten. Das Unterhaus wird über die Pläne abstimmen müssen. Angesichts der satten Mehrheit Labours ist es unwahrscheinlich, dass das Vorhaben scheitert – aber eine größere Rebellion würde Starmers Autorität untergraben und seine Regierung destabilisieren.

Die jüngste Sparkeule hat auch deswegen so lautstarke Proteste provoziert, weil sie sich in einen breiteren Trend einreiht. Starmers Regierung hat seit ihrem Amtsantritt im vergangenen Juli zahlreiche Entscheidungen getroffen, die man eigentlich von den Tories erwarten würde. Um die Staatsausgaben zu senken, wurde beispielsweise den Heizkostenzuschuss für Rentner stark beschnitten. Ebenso wurde eine von den Konservativen eingeführte Beschränkung des Kindergelds für arme Haushalte beibehalten.

Labour-Regierung auf Tory-Kurs

In den vergangenen Wochen sind mehrere umstrittene Schritte hinzugekommen. Die Regierung hat etwa versprochen, die »aufgeblasene Staatsbürokratie« zu verschlanken; sie hat eine Neuorganisation des staatlichen Gesundheitsdienstes in Aussicht gestellt, die geschätzte 20 000 Jobs kosten könnte; sie will eine Erhöhung der Militärausgaben durch eine Reduktion der Entwicklungshilfe finanzieren. Und sie hat die Asylpolitik verschärft.

Vergangene Woche brüstete sich Gesundheitsminister Wes Streeting im Parlament, dass »die Labour-Regierung Dinge umsetzt, von denen die Konservativen bloß geredet haben«. Die Öffentlichkeit frage sich daher, was der Zweck der Tories sei. Aber auf den Regierungsbänken sitzen viele Abgeordnete, die umgekehrt fragen: Was ist der Zweck der Labour-Partei, wenn sie eine konservative Politik umsetzt?

Derzeit ist nur eine Gruppe innerhalb der Labour-Fraktion in offenem Aufstand gegen die Parteiführung: die rund zwei Dutzend Abgeordneten der linken Socialist Campaign Group. Starmer dürfte ihnen wenig Beachtung schenken. Ob er mit seinem Kurs auch andere Faktionen gegen sich aufbringt, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie die Wähler auf die jüngste Ankündigung reagieren. »Nur die wenigsten von uns haben es auf Keir abgesehen«, sagte kürzlich ein Labour-Abgeordneter gegenüber dem Magazin »The Spectator«. »Aber viele von uns wollen ihre Mandate behalten.«

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