Tom Tykwer: »Wir sitzen ganz schön in der Patsche«

Regisseur Tom Tykwer packt in seinem neuen Film »Das Licht« alle Phänomene unserer Zeit an

  • Interview: Susanne Gietl
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Familie – ein sich entfremdender Mikro­kosmos
Die Familie – ein sich entfremdender Mikro­kosmos

Wie fühlt es sich für Sie an, nach »Babylon Berlin« wieder ins Jetzt zurückzukehren?

Ich habe einen richtigen Druck und eine Notwendigkeit empfunden, das zu tun. Wenn man sich fast zwölf Jahre in den 1920ern und Anfang der 30er Jahre aufhält, dann entsteht so eine Sehnsucht danach, sich mal wieder mit dem Heute zu beschäftigen. Zumal uns während der Arbeit an »Babylon Berlin« die Geschichte entgegengewachsen ist und sich auf eine ganz bizarre und auch manchmal beunruhigende Art die Zeitleisten angeähnelt und übereinandergelegt haben.

Inwiefern?

Als Henk, Achim und ich anfingen, »Babylon Berlin« zu schreiben, da gab es noch keinen Brexit, da hatte ich nicht ahnen können, dass Donald Trump US-Präsident werden und Europa in irgendeiner Weise instabil dastehen könnte. Die Situation, in der wir jetzt sind, war so unvorstellbar weit weg und ist dann aber – während wir uns für die fünfte Staffel auf das Ende der Weimarer Republik zubewegten, Richtung Machtübergabe an die Nazis – konkreter geworden. Wir haben gerade auch eine Menge zu schultern, müssen eine Menge aushalten, und viele Themen, von denen schon eins allein uns möglicherweise überfordern würde, fordern uns zur Positionierung. So intensiv habe ich das nie erlebt und nie empfunden. Und ich bin ja auch nicht mehr so jung.

Interview

Tom Tykwer, 1965 in Wuppertal geboren, drehte mit elf Jahren seine ersten Super-8-Filme und arbeitete mit 13 als Film­vor­führer. Inzwischen gehört er zu den erfolgreichsten Regisseuren Deutsch­lands. Seine bekanntesten Arbeiten sind »Lola rennt«, »Heaven«, »Das Parfum« sowie die Serie »Babylon Berlin«. Sein neuer Spielfilm »Das Licht« eröffnete die dies­jährige 75. Berlinale.

Ich habe vor allem das Gefühl, dass wir uns ganz oft über die Dinge stellen und auch das Teil des Problems ist …

Ja, das ist halt auch ein bisschen das, was der Film thematisiert. Milena und Tim, die beiden Hauptfiguren, die aus meiner Generation kommen, sind beide total wohlmeinende Menschen, die das Gute wollen, aber sich gleichzeitig auch nicht mehr wirklich einfühlen in die Kontexte, in denen sie sich bewegen. Insbesondere Tim wird von der Industrie vereinnahmt, die letztlich seine progressiven Denkfiguren nur ausbeutet, die er quasi als Ware liefert. Das ist natürlich ein totaler Widerspruch, in dem er sich verheddert hat, den ich vor allem deshalb so interessant finde, weil ich weiß, dass wir fast alle, selbst wenn wir Kunst machen, den Markt bedienen müssen.

Und so folgt die Kunst den Regeln des Marktes?

Alle Kunst generiert einen Markt – der Markt hat seine eigenen Regeln; und plötzlich steckst du in einem Regelwerk des Marktes, und das kann eben deine Kunstproduktion kompromittieren, weil du schon über den Markt nachdenkst, während du die Kunst machst. Das ist natürlich etwas, wogegen ich mich stemme. Der Film ist ein Dokument dieser Geste. Film ist auch die komplizierteste Kunst in diesem Themenkomplex, weil sie die teuerste ist. Filme zu machen, kostet einfach irre viel Geld, selbst ein Low-Budget-Film ist heutzutage teurer als alles, was man sich jemals zusammensparen kann. Das bedeutet automatisch, dass man ein bestimmtes Verhältnis zum Kapital haben muss. Das Kapital selbst ist etwas, von dem ich gar nicht eingeschüchtert werde. Es belastet mich nicht, aber es ist natürlich eine Belastung selbst, unter dieser Spannung zu leben, dass man weiß, dass es bei fast allen Arbeitsprozessen immer auch einen ökonomischen Druck gibt, der mit jeder kreativen Entscheidung einhergeht.

Ihr neuer Film erstreckt sich über die zweieinhalb Stunden hinaus. Wie haben Sie sich in das Buch hineingeschrieben, und was war Ihnen dabei wichtig?

Wenn es darum geht, dass man Kunst macht, die nach Wahrhaftigkeit sucht und nach einer ehrlichen Auseinandersetzung mit der Komplexität der Gegenwart, dann muss man die Scheuklappen fallen lassen. Du musst den Zensurstift in der Schublade lassen und einfach so unmittelbar und so aufrichtig wie möglich auch dich selbst dafür hergeben. In seiner Geste und auch in seiner Form muss das ein Film sein, der auch dem Zuschauer beide Hände reicht und das Herz wirklich aufmacht. Ich musste das Herz aufmachen, alle mussten das Herz aufmachen, die an dem Film gearbeitet haben, und wollten das auch, damit diese Art von Intensität entstehen kann und sich aus der Kunst heraus auch was verändern kann.

Die Haushälterin, erst die polnische, dann die syrische (Farrah) ist in Bezug auf die Familie »ein Fremdkörper«?

Der Fremdkörper ist die Voraussetzung, die sozusagen auch gesellschaftliche Norm ist. Die Norm fällt komplett dadurch auseinander, dass diese Person gegen jede Erwartung agiert. Sie trägt ein Wissen und eine Weisheit, eine andere Art zu denken, in diesen letztlich von sich entfremdeten Mikrokosmos hinein, der alle dazu bringt, sich wieder anzusehen, sich überhaupt wieder mal zu zeigen auch und sich zu öffnen – nicht nur zur Welt, vor allen Dingen zueinander.

Farrah entlarvt die Probleme einer wohlsituierten Familie: Der Sohn (Julius Gause) verbarrikadiert sich computerspielend zu Hause, die Tochter (Elke Biesendorfer) taucht in Clubs ab, und ihre Eltern (Milena und Tim) haben Eheprobleme. Wo steht Farrah in diesem Kontext?

Farrah ist eine ganz normale Arbeiterin, die sich beim Arbeitsamt einen Job sucht, den sie haben will und der ihr dient. Aber sie verkörpert natürlich für mich nicht mehr die von uns immer so behauptete Debatte um die Notwendigkeit von Integration. Sie verkörpert für mich die Tatsache, dass die Integration schon längst stattgefunden hat, dass es gerade so empörend ist, noch immer von den zu erwartenden Konzepten zu reden, während wir seit mindestens einem Jahrzehnt, mit ganz vielen anderen – allein mit einer siebenstelligen Zahl von syrischen Menschen – zusammenleben, die unser gemeinschaftliches Ganzes prägen und von großem Nutzen sind. Sie machen nämlich tausend Berufe, die wir alle gar nicht mehr können, nicht wollen oder verlernt haben. Ich wollte auch diese Art von Normalität unbedingt zeigen, damit wir endlich anerkennen, dass diese Separierung, die oft in vielen Medien immer noch so stark betrieben wird, dass da irgendwelche anderen sind, die nur Ärger machen – dass diese sogenannten anderen schon längst wir sind.

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Wie schwierig war es für Sie, sich in Farrah einzufühlen oder in Milena, die in Afrika ein Kulturzentrum aufbauen möchte? Sie haben eine Filmschule in Nairobi?

Ich bin nur dahin gegangen, wo ich mich wirklich gut auskenne. Ich war seit fast zwei Jahrzehnten regelmäßig in Ostafrika und kenne auch die Lebensumstände, wirklich viele Menschen und habe sehr engen Kontakt mit allen Schichten und mit allen Lebensformen gehabt. Das hat mich auch viel gelehrt und mir auch eine Menge Demut eingeprügelt angesichts unseres abstrus disproportional wohlhabenden Status quo, den wir hier haben. Die Diskrepanz ist eigentlich nie auszuhalten.

Der Dauerregen im Film hat etwas Apokalyptisches.

Es ging darum, die Stimmung einzufangen, in der wir uns befinden. Es ist natürlich einer Weltsituation geschuldet, die nicht morgen früh abgeschafft werden kann, die aber auch gerade wieder ihre gruseligsten Gesichter zeigt. Wir sitzen ganz schön in der Patsche. Da müssen wir uns nichts vormachen. Der Film ist trotzdem auch leicht. Ich lache auch wirklich viel mit und über die Figuren. Ich liebe sie auch, obwohl sie so verzweifeln. Aber sie lieben sich ja auch, sie müssen das nur erst mal wieder lernen. Da trägt der Film auch ganz viel Hoffnung in sich. Nur wenn wir wirklich ganz doll zusammenhalten, wieder zueinanderfinden, uns füreinander öffnen und wieder einander zuhören, wenn wir aus unseren Höhlen klettern, in denen wir unsere Monologe vor uns hin fabulieren, haben wir wieder eine Chance, mit einer starken, breiten Position den Rollkommandos von Technologie und Globalisierung und ökologischer Katastrophe irgendetwas entgegenzusetzen.

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