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Russland: Migranten raus, Migranten rein
In Russland kündigt sich eine Wende in der Migrationspolitik an. Restriktiv wird sie bleiben, aber anders
Russlands Innenminister Wladimir Kolokolzew kann sich mit einem Erfolg rühmen. Rund 685 000 Menschen wurden innerhalb von einem Monat im neuen »Register der zu beobachtenden Personen« erfasst. Dabei handle es sich um Migranten, die sich illegal im Land aufhielten, so Kolokolzew in einem Interview mit Staatssender »Rossija« Anfang März.
Wer im Register landet, ist vom Leben quasi ausgeschlossen. Betroffene dürfen sich nicht mehr als juristische Person anmelden, Eigentum registrieren, Bankkonten eröffnen, den Führerschein erneuern, Fahrzeuge erwerben oder Ehen schließen. Auch dürfen sie die Region, in der sie von den Behörden aufgegriffen wurden, nicht ohne deren Erlaubnis verlassen. Minderjährige dürfen nicht mehr in die Schule oder den Kindergarten. Und wer Migranten aus dem Register beschäftigt, dem drohen Geldstrafen. Bis Ende April müssen die Betroffenen einen Status als Legaler bekommen, sonst werden sie ohne Gerichtsverfahren abgeschoben. Im vergangenen Jahr hat Russland über 80 000 Menschen, die auf Arbeitssuche ins Land kamen, ausgewiesen. Doppelt so viele wie 2023.
Auf das Register folgen die Razzien
Seit das Register Anfang Februar eingeführt wurde, finden im ganzen Land Razzien statt: in der Gastronomie, auf Märkten und Baustellen, sogar in Sportstudios. Nachdem vor einem Jahr tadschikische Staatsangehörige einen Terrorangriff auf die Crocus City Hall bei Moskau verübt hatten, überbieten sich Politiker mit antimigrantischer Rhetorik. Im vergangenen Sommer etwa brüstete sich der Leiter des staatlichen Ermittlungskomitees, Alexander Bastrykin, damit, dass seine Behörde dafür gesorgt hat, dass männliche Neubürger von Kreiswehrämtern registriert werden und bereits 10 000 an die Front der »Sonderoperation« geschickt wurden. Jetzt erklärt das Innenministerium, dass innerhalb von einem Jahr 1500 neu eingebürgerten Migranten die russische Staatsbürgerschaft wieder entzogen wurde.
Einigen Regionen ist der neue scharfe Kurs aus Moskau nicht scharf genug. Georgij Filimonow, Gouverneur der nordrussischen Region Wologda, erließ ein Arbeitsverbot für Migranten auf Baustellen. Eine Maßnahme, die als Angriff auf seinen politischen Erzfeind, den Milliardär Alexei Mordaschow verstanden werden kann, dessen Metallurgieunternehmen Severstal dadurch mit einem massiven Arbeitskräftemangel konfrontiert ist. Severstal hatte zuvor angekündigt, im Rahmen eines Investitionsprogramms 6000 Migranten an seinem Stammsitz in Tscherepowez zu beschäftigen. Mit der Entscheidung Filimonows sieht der größte Arbeitgeber der Region sein Investitionsprogramm gefährdet.
Putin will mehr Arbeitsproduktivität
Seit der Corona-Pandemie leiden mehrere russische Regionen an einem Mangel an Arbeitskräften. Im Dezember 2024 präsentierte Präsident Wladimir Putin seine Lösung für das Problem. Statt mehr Migranten ins Land zu holen, müsse in verschiedenen Bereichen die Arbeitsproduktivität gesteigert werden. Dass es an Arbeitskräften trotzdem mangelt, musste dann selbst Putin zugeben.
Am Dienstag sollte im Parlament ein Vorschlag besprochen werden, mit dem Arbeitsmigranten in Zukunft »gelenkt« werden sollen. Danach soll die Arbeitserlaubnis, das »Patent«, zukünftig nicht mehr allgemein, sondern ausschließlich für bestimmte Berufe gelten. Heute würden Migranten dort arbeiten, wo es für sie lukrativ und angenehm sei, aber nicht da, wo sie gebraucht werden, sagte der Leiter des Duma-Komitees für Arbeit und Sozialpolitik, Jaroslaw Nilow, dem Fernsehsender RTVI. Statt als Kurier sollen Arbeitsmigranten seiner Meinung nach auf dem Bau arbeiten. Ein »Patent« für den Bau könnte unter anderem über den Preis attraktiv gemacht werden, so Nilow.
Myanmar soll mit Arbeitskräften aushelfen
Während der russische Staat Menschen aus Zentralasien und dem Südkaukasus damit weiter unter Druck setzt, verhandelt Moskau ein Anwerbeabkommen mit Myanmar. Bei einem Treffen zwischen Putin und dem Chef der Militärjunta Min Aung Hlaing am 4. März im Kreml ging es nicht nur um militärische Kooperation und den Bau von Atomkraftwerken. Der russische Minister für wirtschaftliche Entwicklung Maxim Reschetnikow sprach erörterte mit dem myanmarischen Minister für Investitionen und außenwirtschaftliche Beziehungen, Kan Zaw, die Perspektiven der Anwerbung von Arbeitern.
Nur eine Woche später trafen in den Regionen Primorje und Amur im Fernen Osten die ersten Schweißer, Montagearbeiter und Betonbauer ein. Sehr zur Freude der lokalen Behörden, die die Myanmaren in höchsten Tönen als qualifiziert und zielstrebig lobten.
Myanmarer ohne Community in Russland
In großer Zahl dürften in Zukunft aber kaum Menschen aus dem südostasiatischen Land nach Russland kommen. »Gastarbeiter« aus Myanmar müssen 30 Prozent ihres Einkommens über einheimische Banken umtauschen, deren Wechselkurs weit unter dem offiziellen liegt, ordnet der Südostasien-Experte Alexei Kiritschenko von der Moskauer Lomonossow-Universität gegenüber der Wirtschaftszeitung »Wedomosti« ein. Zudem können Männer unter 35 wegen der allgemeinen Wehrpflicht kaum das Land verlassen.
Dass Moskau dennoch Myanmaren anziehen möchte, hat einen Grund. Im Gegensatz zu Kirgisen oder Tadschiken haben sie keine eigene Community in Russland. Dadurch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach Ablauf ihres Vertrages im Land Fuß fassen, gering. Das Abkommen mit ihrem Staat soll effektiv verhindern, dass sie länger im Land bleiben, als ihre Arbeitskraft von dortigem Kapital benötigt wird.
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