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Berlin: O-Platz gegen Krieg und Lager
In Kreuzberg protestieren Aktivisten für die Rechte von Geflüchteten
Auf den Oranienplatz in Kreuzberg, von vielen einfach O-Platz genannt, hat die Gruppe »OPlatz – Berlin Refugee Movement« über den gesamten März ihre Zelte aufgeschlagen. Das Camp steht unter dem Motto »Stand united for refugee rights and climate justice« (Steht zusammen für die Rechte von Geflüchteten und Klimagerechtigkeit). Bereits 2012 gab es ein ähnliches Camp auf dem Oranienplatz. Damals liefen Geflüchtete als Reaktion auf den Suizid eines Lagerbewohners von Würzburg nach Berlin und besetzten den Platz bis ins Jahr 2014 hinein. Für diesen März wurde das Camp wieder ins Leben gerufen, dieses Mal angemeldet. Grund dafür sind die verschärften Lebensbedingungen für Geflüchtete in Deutschland.
Das Camp ist im Vergleich zu 2012 etwas überschaubarer. Ein gutes Dutzend Zelte steht auf der südlichen Seite des O-Platzes rund um das Denkmal gegen Polizeigewalt. Es gibt einen Gemeinschaftsbereich mit Bänken, Snacks und einem Infotisch. Eine Ausstellung zeigt vergangene Aktionen. »Viele Geflüchtete wissen gar nicht, was damals passiert ist«, erklärt Turgay Ulu, der an diesem Sonntag den Infotisch mit betreut, gegenüber »nd«. Ulu war schon 2012 bei der Besetzung des O-Platzes dabei. 2011 floh der Aktivist und Journalist aus der Türkei, wo er wegen seiner Arbeit 15 Jahre im Gefängnis saß.
»Damals war alles von Geflüchteten selbst organisiert. Ich war zu der Zeit in einem Lager in Niedersachsen, andere kamen z.B. aus München. Nach dem Tod von Muhammed Rahsapar haben wir gesagt, wir brauchen eine große, nicht nur lokal wirksame Aktion. Deshalb sind wir nach Berlin gelaufen«, erinnert sich Ulu. Dabei haben sie verschiedene Lager besucht, Pressekonferenzen abgehalten, an Haustüren geklopft, mit den Leuten in ihrer eigenen Sprache gesprochen. Am Ende ist die Gruppe von elf auf gut 500 Geflüchtete gewachsen.
Dieses Mal seien es mehr Aktivist*innen, die das Camp prägen. »Wir müssen auch hier Geflüchtete zu wichtigen Akteur*innen machen«, so Ulu. Im Zuge des aktuellen Camps wurden ebenfalls Geflüchtetenlager besucht, wo die Aktion auch grundsätzlich auf Anklang stößt. Viele haben jedoch Angst, an dem dieses Mal angemeldeten Camp teilzunehmen. Ein Grund, der sie an der Teilnahme hindere, sei die tägliche Registrierungspflicht in den Lagern, so Ulu. Auch die Angst, dass ihre politische Teilhabe Auswirkungen auf laufende Asylanträge hat, sei für viele ein Problem.
An vergangenen Sonntag feiert auf dem O-Platz die kurdische Community das Neujahrsfest Newroz. Auf der gegenüberliegenden Seite des Protestcamps steht eine Bühne, vor der sich Menschen in Festtagskleidung tummeln. Kurdische Fahnen werden geschwenkt, es gibt Feuerwerk und immer wieder werden Menschen unter Jubel in die Luft gehoben. In der Mitte des Platzes brennt das traditionelle Feuer. »Hier sind auch viele kurdische Geflüchtete, die feiern auch mit«, merkt Ulu an. Die Stimmung ist ausgelassen.
»Das Problem sind Waffen, Krieg und Ausbeutung, nicht die Geflüchteten.«
Turgay Ulu
Geflüchteter Journalist
Ulu lässt allerdings durchklingen, dass die Anwohnenden den Camp-Bewohner*innen weniger wohlgesonnen sind als noch 2012: »Damals war die Gesellschaft solidarischer als jetzt. Wenn wir von der Polizei angegriffen wurden, haben sich Nachbar*innen solidarisch mit uns gezeigt und Menschen waren für uns auf der Straße. Es gibt immer noch solidarische Menschen, aber die Atmosphäre hat sich geändert.« Ulu sieht hier klar den Rechtsruck und damit einhergehenden Populismus als Grund, der sich oft gegen Geflüchtete richtet. Das Camp soll auf die eigentlichen Ursachen aufmerksam machen: »Das Problem sind Waffen, Krieg und Ausbeutung, nicht die Geflüchteten. Die Geflüchteten müssen irgendwo hingehen. Wir wollen hier auf die Ursachen für Flucht aufmerksam machen«, so Ulu. Deshalb werden in dem Programm des Protestcamps auch täglich andere Schwerpunkte gesetzt. Beispielsweise wurde in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen am vergangenen Samstag über die Situation in Kongo oder am vergangenen Mittwoch in Myanmar berichtet.
Hier in Kreuzberg fordern die Geflüchteten und Aktivist*innen einen humaneren Umgang mit Menschen in Not. So positionieren sie sich gegen Abschiebung und Residenzpflicht, vor allem aber gegen die Unterbringung von Geflüchteten in Lagern. »Das Lagersystem in Deutschland ist ein Isolationssystem! Viele Lager sind kilometerweit vom gesellschaftlichen Leben entfernt, oft gibt es nicht mal einen Bus in der Nähe, mit dem die Bewohner*innen in die Stadt fahren könnten«, berichtet Ulu, der selbst vier Jahre in einem solchen gelebt hat. Mit dem Protestcamp wurden die Themen Lager und Flucht mitten in das Herz von Kreuzberg getragen – unübersehbar. Die Gruppe hat es sich zum Ziel gemacht, Menschen mehrsprachig über die Ursachen von Krieg zu unterrichten. »Das ist unsere neue Aufgabe des Widerstands«, erklärt der Exil-Journalist. »Wer Waffen und Krieg produziert, produziert auch Geflüchtete.«
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