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Aufrüstung mit Fragezeichen
Die Pläne zur Finanzierung gewaltiger Waffenkäufe führen zu neuen Konflikten in der Europäischen Union
Als EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen Anfang März ihre Pläne für eine massive Aufrüstung Europas unter dem Titel »ReArm Europe« vorstellte, da sah es kurz so aus, als würde sich die ganze Union hinter die Präsidentin stellen. Ihre Vorschläge sehen eine drastische Erhöhung der Verteidigungsausgaben der EU-Mitgliedstaaten vor. Insgesamt sollen bis zu 800 Milliarden Euro mobilisiert werden, um »die militärischen Kapazitäten Europas auszubauen und unabhängiger von Drittstaaten zu machen«. Dafür sollen EU-Mitgliedstaaten mehr finanziellen Spielraum für Verteidigungsausgaben erhalten, auch die sonst so strengen Schuldenregeln sollen gelockert werden, und die EU will 150 Milliarden Euro für gemeinsame Rüstungsprojekte bereitstellen.
Doch mittlerweile zeigt sich, dass die EU in der Frage tief gespalten ist. So erklärte Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez jüngst: »Ich denke, die EU ist ein politisches Projekt der Soft Power.« Die Bedrohungen, denen sich Spanien gegenübersieht, seien andere als die der östlichen EU-Länder: »Unsere Bedrohung ist nicht Russland.« Sánchez plädiert dafür, die Begriffe Verteidigung und Sicherheit weiter zu fassen. Die von der Kommission geplanten Maßnahmen sollen laut Sánchez auch für Ausgaben wie die Bekämpfung des Klimawandels und der illegalen Migration genutzt werden können.
Druck bekommt Sanchez zudem von seinem linken Koalitionspartner Sumar, der die Ausgaben fürs Militär auf keinen Fall erhöhen und die Nato auflösen will. Sumar-Gründerin und Arbeitsministerin Yolanda Díaz lehnt »jede Erhöhung der Militärausgaben« ab, die zu »einer Verringerung der für die Sozialpolitik verfügbaren Mittel« führen würde.
Auch Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni gibt sich zurückhaltend. Die Postfaschistin will keine zusätzlichen Staatsschulden für Waffenkäufe aufnehmen. Italien ist hoch verschuldet und Meloni kürzt deshalb auch im Sozialbereich. Da kommt es schlecht bei den Wählern an, wenn man plötzlich geliehene Milliarden in neue Panzer, Raketen und Drohnen steckt. Mehr als die Hälfte der Italiener hat sich in Umfragen gegen eine Ausweitung der Rüstungsausgaben ausgesprochen.
Derzeit entsteht in Italien so etwas wie eine Anti-Aufrüstungs-Bewegung. Erst vor ein paar Tagen protestierten in der Hauptstadt Rom 30 000 Menschen gegen »ReArm Europe«. Auch im norditalienischen Mailand wurde gegen die Pläne demonstriert, prominenter Teilnehmer dort war Vize-Regierungschef Matteo Salvini, Vorsitzender der nationalpopulistischen Lega. Der Putin-Bewunderer nannte die Aufrüstungspläne »verrückt«. Allerdings betonte Salvini im gleichen Atemzug, dass die Gelder nur an italienische Rüstungsfirmen gehen dürften. Tatsächlich gibt es in Italien und Spanien milliardenschwere Rüstungskonzerne, die von den Aufrüstungsplänen massiv profitieren würden.
Der Dritte im Bunde ist hier der niederländische Ministerpräsident Dick Schoof, der den Brüsseler Vorhaben zustimmte und zu Hause dafür abgewatscht wurde. Das Parlament in Den Haag hat mit knapper Mehrheit gegen »ReArm« votiert, auch mit den Stimmen von drei der vier Regierungsparteien. Bei den Niederländern ist die Angst vor Schulden größer als die Angst vor den Russen.
Der Rechtspopulist Geert Wilders, dessen PVV in der Regierung sitzt, forderte Schoof auf, seine Zustimmung zu von der Leyens Plan zurückzuziehen. Tatsächlich fürchten reichere Staaten wie die Niederlande oder Deutschland, dass »ReArm« genutzt werden könnte, um Eurobonds, also gemeinsame europäische Schulden, durch die Hintertür einzuführen.
Wohl auch um zu Hause die Wogen zu glätten, forderten Meloni und Sanchez die Umbenennung des Rüstungsprogramms »ReArm Europe«. Kommissionschefin Ursula von der Leyen lenkte ein: Von nun an trägt der Plan zur Ankurbelung der Rüstungsindustrie das Label »Readiness 2030«, also »Bereitschaft 2030«. »Eine Anspielung auf das Datum, bis zu dem Russland über die notwendigen Fähigkeiten verfügen könnte, um einen Angriff auf einen EU- oder Nato-Mitgliedstaat zu starten«, wie der TV-Sender »Euronews« erklärte.
Der Titel passt zudem zum »Weißbuch zur Verteidigung Europas – Bereitschaft für 2030«, das am 19. März in Brüssel von der EU-Außenbeauftragten, Kaja Kallas, und dem Kommissar für Verteidigung, Andrius Kubilius, vorgestellt wurde. Darin wird Russland als »existenzielle Bedrohung« eingestuft und die Notwendigkeit betont, »strategische militärische Fähigkeiten« wie Luft- und Raketenabwehr, Artillerie, Drohnen und militärische KI weiter auszubauen.
Während die Niederlande ihre Verteidigungsausgaben in den letzten Jahren massiv erhöhten und mittlerweile das Nato-Ziel von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung fast erreichen, kommen Italien und Spanien auf nicht einmal 1,5 Prozent. Im Nordosten Europas herrscht ein ganz anderes Bild: Hier überbieten sich die Staaten gegenseitig bei der Übererfüllung der Nato-Planziele. So will Litauen ab 2026 »jährlich zwischen 5 und 6 Prozent des Bruttoinlandproduktes für die Verteidigung bereitstellen«, wie der litauische Staatspräsident Gitanas Nausėda im Januar verkündete.
Polen kommt schon im laufenden Jahr auf fast 5 Prozent und ist dabei, seine Armee materiell und personell massiv aufzustocken. Warschau peilt eine Mannschaftsstärke von 300 000 Soldaten an und wäre damit neben Frankreich europäischer Champion. Die Angst vorm bösen Nachbarn Russland liefert die Begründung für die Militarisierung, die in Polen die ganze Gesellschaft erfasst hat. Auch Dänemark, Schweden und Finnland haben das Zweiprozentziel erreicht und wollen weiter aufrüsten.
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