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A100-Brücke, BVG-Streik, S-Bahn-Ausschreibung: Berlin ächzt

Das Verkehrssystem stand in den vergangenen Tagen am Rande des Kollapses, die Politik streitet um Lösungen

Voll ist der S-Bahnsteig, wenn die Straßen dicht und U-Bahn-, Tram- und Busfahrer*innen im Streik sind.
Voll ist der S-Bahnsteig, wenn die Straßen dicht und U-Bahn-, Tram- und Busfahrer*innen im Streik sind.

Logisch, wenn es auf Berlins Straßen nicht vorangeht, wenn Bus und Bahn nicht funktionieren, blickt ganz Berlin kritisch in die Büroetagen am Köllnischen Park. Hier, gegenüber vom Märkischen Museum und unweit der Zentrale der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), sitzt die Berliner Senatsverkehrsverwaltung, der seit Mitte des vergangenen Jahress Ute Bonde (CDU) als Senatorin vorsteht.

Und in diesen Tagen ist das Verkehrssystem tatsächlich nah am Kollaps. Durch die Sperrung der A100-Autobahnbrücke am Dreieck Funkturm, einem der am stärksten befahrenen Autobahnabschnitte Deutschlands, weicht der Verkehr auf die umliegenden Straßen aus. Diese sind aber gar nicht für einen derartigen Durchlauf ausgelegt. In der Folge geht im angrenzenden Kiez nichts mehr, nicht für private Pkw, nicht für den Lieferverkehr, nicht für Polizei und Rettungswagen, nicht für Pflegedienste, nicht für Busse.

Dem RBB sagte der zuständige Bezirksstadtrat von Charlottenburg-Wilmersdorf, Oliver Schruoffeneger (Grüne), dass die jetzigen Ausweichstraßen auch marode seien. Er plädiere daher dafür, den Lkw-Verkehr aus diesen Bereichen herauszuhalten, ehe die Überlast auch hier absehbare Folgeschäden wie Wasserrohr- oder Asphaltdeckenbrüche hervorruft. Der sich dauerhaft in Kieznähe stauende Schwerlastverkehr sei für die Anwohner*innen gesundheitsschädlich, sagte Schruoffeneger.

Zu diesen Verkehrsverschlüssen auf der Straße, die in weitere Staus im Berliner Westen mündeten, kam am Mittwoch und Donnerstag ein erneuter Streik bei der BVG, wodurch U-Bahn, Tram und die meisten Buslinien ausfielen.

»Es ist richtig, dass die A100-Brücke am Dreieck Funkturm in einem besorgniserregenden Zustand ist.«

Ute Bonde (CDU) Verkehrssenatorin

Berlins Mobilitätsoberhaupt Ute Bonde gab sich vor diesem Hintergrund am Donnerstag dennoch wenig selbstkritisch. »Es ist richtig, dass die A100-Brücke am Dreieck Funkturm in einem besorgniserregenden Zustand ist«, sagte die Verkehrssenatorin am Mittwoch im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Sorgen und Nöte der Berliner*innen würden sie bewegen. Doch anknüpfend an ihre Haltung zur BVG-Krise (»Welche Krise?«), wies sie – in Teilen sicher zurecht – die Verantwortung von sich. Bonde erklärte, dass die Instandhaltung der Autobahnbrücken wie auch die Umleitung des Verkehrs auf die Berliner Straßen dem Bund obliege.

Für ihren Zuständigkeitsbereich gab sich die Verkehrssenatorin handlungsfähig, sie habe kontinuierlich über den Stand der Dinge informiert und sich regelmäßig mit relevanten Akteuren getroffen. Für den anstehenden Neubau der Brücke habe sie gefordert, dass rund um die Uhr gebaut wird. Je nach Fortschritt des Bauvorhabens sollten die Beteiligten positiv oder negativ sanktioniert werden. Und: Bonde hat angeregt, den Bauauftrag nicht an mehrere Bewerber auszuschreiben, sondern direkt zu vergeben. Ein Vorschlag, den Oda Hassepaß, verkehrspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, gegenüber dem RBB als rechtlich nicht zulässig einschätzte. Eine zunächst auf zwei Jahre geschätzte Dauer des Bauvorhabens wurde von der zuständigen Autobahn GmbH als Fehlinformation wieder zurückgezogen. Angaben zu Beginn und Fertigstellung seien derzeit »nicht belastbar möglich«.

Die mindestens holprige Ausschreibung für die Berliner S-Bahn wies Bonde an die Grünen-Fraktion zurück. Von 2016, dem Beginn der Ausschreibung, bis 2023 sei der Verkehrssenat in den Händen der grünen Partei gewesen. Sie könne nun aber den Abschluss der Ausschreibung verkünden. Die Abgabefrist sei am Donnerstagmittag abgelaufen. Bis zum Herbst werde nun entschieden, wer den Zuschlag bekommt.

Nach der Angebotsabgabe ist vor der Klage
  • Am Donnerstag um zwölf Uhr endete die Frist für die Abgabe der verbindlichen Angebote für Fahrzeuge und den künftigen Betrieb von zwei Dritteln des Berliner S-Bahn-Netzes. Entgegen den Befürchtungen ist sie damit nicht erneut verschoben worden.
  • Es geht bei dem inklusive Vorinformation seit Mai 2016 laufenden Verfahren um die Lieferung und Unterhaltung von 1400 Wagen sowie den Betrieb auf den Nord-Süd- und Ost-West-Linien.
  • Überraschend kam kürzlich wieder das Thema auf, die Fahrspannung künftig auf 1500 Volt verdoppeln zu wollen. Vorteil wäre, dass der nötige Ausbau der Energieversorgung günstiger werden könnte. Allerdings müssten für eine Doppelausrüstung die Züge umkonstruiert werden. Bis zu neun Monate weitere Verfahrensverlängerung wären die Folge. Das scheint vom Tisch zu sein.
  • Der Zuschlag soll im dritten Quartal 2025 erteilt werden, die Betriebsaufnahme soll schrittweise ab Februar 2031 erfolgen.
  • Der Zeitplan dürfte sich noch um ein bis zwei Jahre verschieben. Denn erwartbar wird der Bahntechnikkonzern Alstom erneut den Rechtsweg beschreiten, falls er unterliegt. Das ist wahrscheinlich, da ihm dem Vernehmen nach ein Zugbetreiber als Partner fehlt – im Gegensatz zum Konsortium aus der DB-Tochter S-Bahn Berlin GmbH mit den Fahrzeuglieferanten Siemens und Stadler Rail. Nicolas Šustr

Mit Blick auf den Tarifstreit bei der BVG kritisierte Bonde die Gewerkschaft Verdi deutlich. Es könne nicht sein, sagte sie, dass ein Partner an Maximalforderungen festhält, während sich der andere mit vier Angeboten kompromissbereit zeigt – nämlich die BVG. Das letzte Angebot der BVG würde die Beschäftigten bundesweit in die Spitzenlohngruppe katapultieren. »Und wer hat der BVG diesen Spielraum gegeben?«, fragte Bonde. »Dieser Senat, dem ich angehöre.« Kurze Zeit später gaben die Spitzen von BVG und Verdi die Einigung über eine Schlichtung bekannt. Die beiden Politiker Matthias Platzeck (SPD) und Bodo Ramelow (Linke) sollen in der festgefahrenen Situation vermitteln. Das Schlichtungsergebnis wäre nicht bindend. Da Verdi parallel über einen unbefristeten Streik abstimmen lässt, stehen Gewerkschaftsmitglieder nach der Schlichtung wahrscheinlich vor der Option: Schlichtungsergebnis oder Dauerstreik. Auch ein Scheitern der Schlichtung ist möglich.

»Da ist etwas ins Rutschen geraten in den letzten Jahren und Jahrzehnten«, sagt der Verkehrsexperte Kristian Ronneburg (Linke) zur aktuellen Krise. Angesichts der umfassenden Probleme dürfe man sich nicht mit den Symptomen begnügen, so Ronneburg, sondern müsse sich mit den Ursachen beschäftigen. Die CDU-Politik der »schwarzen Null« habe der öffentlichen Hand Fesseln angelegt. Für das Schneckentempo bei der Verfahrensbearbeitung seien nämlich »nicht die Bürokratie, nicht die Kreuzkröte oder der Spatz« verantwortlich, sondern ein unterbesetzter öffentlicher Dienst.

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Über die Fraktionen hinweg wurde das Sondervermögen auf Bundesebene begrüßt. In Teilen sollen hiervon auch die Länder profitieren. Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Tino Schopf, will jedoch mehr: »Berlin muss als Hauptstadt und als Wirtschaftsstandort weitere finanzielle Zuschüsse erhalten.« Allein der Sanierungsstau für die U-Bahn-Tunnel im Westen der Stadt belaufe sich auf drei Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Zustand von nur 20 Prozent der 850 Brücken in Berlins Verantwortungen gilt als gut bis sehr gut. Die Sanierung von 120 Brücken ist geplant. Investitionsvolumen: eine Milliarde Euro. Die letzten Tage hätten ihn an das Zugunglück 2018 in Genua erinnert. Bei dem Einsturz einer Brücke waren 43 Menschen gestorben. Er sei froh, sagte Schopf, dass in Berlin die Autobahn GmbH durch regelmäßige Zustandsüberprüfungen rechtzeitig reagieren konnte.

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