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Krieg und Karaoke am Detroit River
In der Grenzregion zwischen den USA und Kanada ist man sauer auf Donald Trump
In Kanada bekommt man dieser Tage eine überraschend ernste Antwort auf eine eigentlich absurde Frage: Was tun, wenn Amerika einen Krieg beginnt? »Wir würden sie bekämpfen. Wir würden mit allem, was wir haben, hart kämpfen.« Das sagt Drew Dilkens, Bürgermeister von Windsor – Kanadas wichtigster Grenzstadt zu den USA. Durch das Fenster seines Büros kann er die mächtigen Türme der US-Autometropole Detroit sehen.
Seit über 100 Jahren sind die Städte eng und freundschaftlich verbunden, doch Annexionsdrohungen von US-Präsident Donald Trump machen das Undenkbare in Windsor nun greifbar. »Wir wissen, dass sie militärisch stärker sind. Und wir hoffen, dass wir Verbündete auf der Welt haben, die uns unterstützen würden«, sagt Dilkens lächelnd, er will Zuversicht zeigen. Trump hat einen Handelskrieg begonnen, wohl auch um Kanada mürbe zu machen. Die Töne waren zuletzt versöhnlicher, doch die nächste Eskalation könnte kommende Woche folgen.
»Tag der Befreiung«
Einen »Tag der Befreiung« hatte Trump den 2. April zuletzt genannt, an dem er eine Reihe von Entscheidungen über Zölle verkünden will. Bereits am Mittwoch wurden Sonderabgaben in Höhe von 25 Prozent auf weltweite Autoimporte in die USA verhängt. Zudem gelten Zölle gegen China sowie auf Stahl- und Aluminium weltweit. Trump will damit eigenen Angaben zufolge produzierende Jobs zurückbringen und unfaire Handelsbilanzen ausgleichen. Viele Experten befürchten dagegen Chaos und Verluste.
Der Handelsstreit mit den nordamerikanischen Nachbarn Mexiko und Kanada hatte an den US-Börsen und in den Ländern für Turbulenzen gesorgt. Trump hatte zunächst 25 Prozent Sonderzölle auf alle Waren angekündigt, diese dann aber ausgesetzt, einige Wochen später wieder eingesetzt – um sie kurz darauf erneut teilweise auszusetzen.
Momentan gelten bis Anfang April keine Strafabgaben auf Einfuhren unter dem nordamerikanischen Freihandelsabkommen USMCA. Laut Weißem Haus fallen etwa 38 Prozent der Einfuhren aus Kanada unter das Abkommen. Kanada droht mit Gegenzöllen.
Werden aus Nachbarn Feinde?
Zuletzt zeigten sich beide Seiten bemüht, eine Lösung am Verhandlungstisch zu finden. Doch die Drohkulisse bleibt. Auch weil Trump im Zuge des Zollstreits immer wieder davon gesprochen hat, Kanada zum 51. Bundesstaat der USA machen zu wollen. Was als vermeintlicher, spöttischer Witz begann, nehmen mittlerweile viele ernst.
In der Region der Großen Seen, wo Michigan an Ontario grenzt, wurde das Gezerre zur Zerreißprobe. Zehntausende Jobs sind gefährdet, nicht nur in der eng verflochtenen Autoindustrie. Über die berühmte Ambassador Bridge fahren täglich Waren von rund 300 Millionen Euro – über ein Viertel des Handels beider Länder. Doch auch die von Trump provozierte Feindseligkeit zwischen Nachbarn und Freunden geht an die Substanz.
In die Fabrik des Autobauers Stellantis im kanadischen Windsor würde das Weiße Haus rund 170 Mal passen. Drinnen laufen Chrysler-Modelle vom Band, draußen strömen die Arbeiter durch Drehkreuze in den Feierabend. Kaum jemand will mit dem Reporter sprechen. Nur einer hält kurz an – er freut sich über den Besuch aus Europa: Er liebe Rammstein, sagt er, und dreht im Pick-up das Lied »Deutschland« laut auf.
Ja, über den Zollstreit spreche er mit den Kollegen natürlich, ruft er über den Lärm. »Aber es gibt nichts, was ich tun kann.« Die Entscheidungen fälle jemand anderes – dabei zeigt er mit seinem Finger nach oben.
Scham und Wut in der Grenzregion
Auf der US-Seite der Grenze reden vor allem diejenigen, die sich für das Verhalten ihres Präsidenten schämen. Man sei die Lachnummer Europas, schimpft die Mitarbeiterin einer Autovermietung am Flughafen. Touristen könnten das Land meiden – und Leute ihre Jobs verlieren.
Luka Backus mixt Cocktails im Zentrum des einst glamourösen Detroit – heute Symbol für Verfall, Wandel und Neuerfindung. Backus’ Bar ist hip, die Drinks starten bei 20 Dollar. Am Wochenende sei es noch voll, unter der Woche hingegen leer. »Mittwochs und donnerstags ist es wie ausgestorben«, sagt er. Die Leute seien nervös, sparten – auch beim Trinkgeld. »Es trifft uns hart.«
Rechnung auf die Amerikaner
Spendabel zeigte sich ein Paar, das auf der kanadischen Seite des Detroit River das Restaurant »Toast« in Windsor betrat. »Sie erzählten uns, dass sie aus den USA kommen und Kanadier lieben«, erzählt Restaurant-Mitbesitzerin May Hermiz. »Sie sagten, nicht alle Amerikaner liebten Trump, und sie wollten ihre Wertschätzung und ihre Liebe zu Kanada zeigen.«
So hätten sie die 1000-Euro-Rechnung für das gesamte Lokal gefordert, für etwa 70 Personen. »Alle applaudierten und jubelten ihnen zu, und sie gingen auf sie zu und umarmten sie«, sagt Hermiz. Es sei ein Moment des Zusammenhalts gewesen, herzerwärmend »trotz all der Spaltungen«.
They will survive
Im Grenzgebiet liegt Nervosität in der Luft – einige sind verlegen, die anderen wütend. Die Kanadier lassen ihre Flagge aus Autofenstern wehen, ein Zeichen ihres neuen Zusammenhalts und Stolzes. Amerikanischer Schnaps ist aus den Geschäften verschwunden.
Erin Hawkins macht ihrem Ärger lautstark Luft. Es ist 0.23 Uhr am Montagmorgen, als sie im Pub Villains in Downtown Windsor ans Mikrofon tritt. Es ist Karaoke-Abend, aus den Boxen dröhnt »I will survive«, doch Hawkins hat ihren eigenen Text mitgebracht.
»Jetzt stehen wir zusammen, eure Zölle haben uns stark gemacht«, singt Hawkins zur Melodie des Hits von Gloria Gaynor. Und weiter: »Es gibt nicht die geringste Chance, dass wir euer 51. Bundesstaat werden«. Der Karaoke-Klassiker mündet in einem entschlossenen: »We will survive!«. dpa
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