Mönchengladbach sprengt alle Grenzen, Leipzig sucht neuen Trainer

Die Borussia nähert sich mit dem 1:0 einem alten Sehnsuchtsziel, RasenBallsport entlässt Marco Rose

  • Daniel Theweleit, Mönchengladbach
  • Lesedauer: 4 Min.
Galdbachs Siegtorschütze Alassane Pléa (M.) verschärfte die Probleme der Leipziger um Nicolas Seiwald.
Galdbachs Siegtorschütze Alassane Pléa (M.) verschärfte die Probleme der Leipziger um Nicolas Seiwald.

Jeder halbwegs erfahrene Fußballbeobachter wusste schon während des von einer Mischung aus spontaner Erleichterung und über Wochen aufgebauter Euphorie getragenen Jubels nach dem Schlusspfiff, was als Nächstes kommen würde: Gesänge, die von einer großen und sehr alten Mönchengladbacher Sehnsucht handeln. »Europapokal, Europapokal«, schmetterten die Gladbacher Fans im Stadion, nachdem die Borussia mit 1:0 (0:0) gegen RasenBallsport Leipzig gewonnen und den fünften Platz in der Bundesliga-Tabelle erklommen hatte.

Was ziemlich unerwartet kam, waren die Worte von Trainer Gerardo Seoane nach dem Schlusspfiff. »Ich sehe eine Mannschaft, die das Ganze will, ich sehe da keine Grenzen«, sagte der Schweizer, der eigentlich den Ruf eines rhetorischen Defensivspielers hat. Die Abschaffung aller Grenzen bedeutet wohl, dass das traditionelle Saisonziel, das in Gladbach seit Jahren mit dem etwas merkwürdigen Begriff »Einstelligkeit« beschrieben wird, aufgegeben wurde. Die nach bleiernen Jahren ausgehungerten Borussen wollen mindestens in der Conference League mitspielen, die auch deshalb attraktiv wäre, weil das Team in diesem Wettbewerb richtig weit kommen könnte. Noch schöner wäre die Europa League, selbst die Champions League ist noch vorstellbar. »Wenn man so ein Spiel gewinnt, darf man ein bisschen herumschielen und träumen«, sagte Rocco Reitz.

Fußballerisch ordentlich agierende, zugleich aber ohne Überzeugung spielende Leipziger waren an einer gut sortierten Gladbacher Defensive gescheitert. Am Tag danach wurde dann durchaus überraschend Trainer Marco Rose von seinen Aufgaben in der Leipziger Red-Bull-Filiale entbunden. Nachdem RB in vier Auswärtsspielen am Stück kein Tor gelungen und in Gladbach ohne echte Chance geblieben war, ist nun vor dem Halbfinalspiel im DFB-Pokal beim VfB Stuttgart am Dienstag offenbar Panik ausgebrochen. »Wir brauchen für die verbleibenden Spiele einen neuen Impuls, um unsere Saisonziele zu erreichen«, teilte Sport-Geschäftsführer Marcel Schäfer am Sonntag mit. Unklar blieb zunächst, wer den Posten übernimmt.

Die Borussia hatte zwar weniger Ballbesitz, spielte aber drei Pfostentreffer und ein Siegtor heraus, das Alassane Plea in der 56. Minute nach einer Ecke erzielt hatte. »Fußballerisch war es sicher nicht unser bestes Spiel, dafür haben wir fast alles wegverteidigt, kaum klare Torchancen zugelassen und sind selbst immer wieder gefährlich nach Kontern gewesen«, sagte Kapitän Julian Weigl. Und das Publikum hatte in sehr reiner Form vorgeführt bekommen, warum diese Gladbacher in der Bundesliga derzeit so stark sind.

Die Mannschaft habe »supersolidarisch gearbeitet«, sagte der Sportchef Roland Virkus, während Offensivspieler Robin Hack ergänzte: »Wir haben als Team sehr gut funktioniert, standen in der Defensive sehr gut.« Das war keine Floskel, sondern ein klar erkennbares Erfolgskonzept. RB war fußballerisch überlegen, aber irgendwie matt und energielos, während Gladbach ackerte und kämpfte. Torschütze Pléa war bei seiner Auswechslung nach 80 Minuten so entkräftet, dass er sich nur mit Mühe in die Kabine schleppen konnte. Tomas Cvancara, der den gelb-rot gesperrten Tim Kleindienst vertrat, blieb zwar glücklos mit seinen Ballaktionen, aber er ackerte bis zur letzten Sekunde für die Mannschaft.

Mit einem ähnlichen Konzept spielt der SC Freiburg seit Jahren in der oberen Tabellenhälfte mit, die beste Phase von Union Berlin unter Urs Fischer war ebenfalls von solchen Stärken geprägt: von der bedingungslosen Bereitschaft ausnahmslos aller Spieler, in jeder Partie und möglichst auch in jedem Training alle verfügbaren Energien zu investieren, insbesondere beim Verteidigen. Ein Schlüsselspieler ist dabei Kleindienst, über den Seoane neulich sagte: »Ich habe selten gesehen, dass ein Fußballer so schnell eine Kabine prägen kann.« Gegen Leipzig hat das Team nun erstmals in dieser Saison ohne den Nationalstürmer gewonnen, was darauf hindeutet, dass aus der Idee eine Haltung geworden ist, die alle angenommen haben.

Grundlage dafür waren ein Aufräumarbeiten vor der Saison, mit denen Platz für Neues geschaffen wurde: In den vergangenen Jahren wurde das Klima im Team von alten Platzhirschen wie Tony Jantschke, Patrick Herrmann und vor allen Dingen Christoph Kramer geprägt, die beliebt waren, aber sportlich nur noch Nebenrollen spielten. Das war eine Unwucht, wichtige Positionen in der Hierarchie waren blockiert, die Entfaltung anderer Spieler wurde gebremst. Jetzt sind die alten Anführer weg, Rocco Reitz blüht auf, Ko Itakura, Julian Weigl sowie der derzeit verletzte Torhüter Moritz Nicolas übernehmen immer mehr Verantwortung. »Mittlerweile spüre jeder, dass dieses Jahr was möglich ist«, meint Hack. Und die Aufhebung aller Grenzen durch den Trainer zeigt, wie stark dieses Gefühl geworden ist.

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