Sachsen: Ein Tritt gegen die »tragenden Säulen« der Schulen

Lehrer laufen Sturm gegen Ministerpläne für weniger Unterrichtsausfall

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
In Sachsens Schulen fiel im ersten Halbjahr 2024/25 fast jede zehnte Unterrichtsstunde aus.
In Sachsens Schulen fiel im ersten Halbjahr 2024/25 fast jede zehnte Unterrichtsstunde aus.

Pläne des sächsischen Kultusministers Conrad Clemens (CDU), mit denen dieser den Unterrichtsausfall im Freistaat verringern will, stoßen auf Empörung und massive Proteste in der Lehrerschaft. An der ersten von drei Aktionen, die von der Gewerkschaft GEW und Berufsverbänden organisiert werden, nahmen am Dienstag in Leipzig 1500 Lehrkräfte teil, deutlich mehr, als die Organisatoren vorab erwartet hatten. Weitere Kundgebungen sollten am Mittwochnachmittag in Chemnitz sowie am Donnerstag vor dem Ministerium in Dresden folgen. Dort will auch der Minister sprechen.

Clemens hatte kürzlich Maßnahmen vorgelegt, um den Ausfall zu reduzieren. Im ersten Schulhalbjahr 2024/25 konnten nach seinen Angaben 9,4 Prozent aller Unterrichtsstunden nicht gehalten werden. Hintergrund ist, dass im Freistaat aktuell 1400 Lehrer fehlen. »So, wie es jetzt ist, darf es nicht weitergehen«, sagte der Minister und schlug Maßnahmen vor, um das vorhandene »Lehrerarbeitsvermögen noch effizienter einzusetzen«.

Die Folge ist ein Sturm der Entrüstung in der Lehrerschaft. »Die Stimmung in den Lehrerzimmern ist richtig schlecht«, sagte GEW-Landesvize Claudia Maaß: »Vor allem die Älteren sind wütend und fühlen sich vor den Kopf gestoßen.« Der Grund: Clemens schlägt unter anderem vor, die »Altersermäßigung« erst später zu gewähren. Bisher können Lehrerinnen und Lehrer ab dem 58. Lebensjahr ihr Pensum um eine Stunde reduzieren, weitere Absenkungen werden mit 60 und 61 gewährt. Künftig gibt es die Ermäßigung erst frühestens ab 63 Jahren. »Da sind viele schon aus dem Dienst ausgeschieden«, sagte Maaß.

Von der Maßnahme betroffen wäre eine Generation, die nach den Worten der GEW-Frau die »tragende Säule« des sächsischen Schulbetriebs ist und in der Vergangenheit erhebliche Zugeständnisse erbrachte. In den 90er Jahren wurde sie wegen der damals niedrigen Schülerzahl zu Zwangsteilzeit verdonnert und musste Einbußen bei Gehalt und Rentenbeiträgen verkraften. Später seien sie zu alt für eine Verbeamtung gewesen. Nun werde ihnen die Teilzeit verwehrt: »Sie können es nicht fassen«, sagte Maaß.

Die Gewerkschafterin hält das Vorgehen des Ministers für verfehlt, nicht nur, weil dieser die Betroffenen faktisch vor vollendete Tatsachen gestellt habe. Die GEW befürwortet prinzipiell den Ansatz, ältere Lehrerinnen und Lehrer länger zu halten, setzt aber eher auf Anreize wie eine verbindliche »Bindungszulage«, Entlastungen bei der Klassenleitung oder ein reduziertes Stundenpensum. »So, wie es jetzt gedacht ist, geht es gar nicht«, sagte Maaß dem »nd«.

Die Gewerkschaft bündelt nun den Widerstand. Man wolle »die Maßnahmen in dieser Form verhindern«, sagte Maaß. Faktisch hat Clemens freie Hand: Fast alle geplanten Schritte bedürfen nur einer Änderung der Arbeitszeitverordnung durch das Ministerium. Der Landtag bliebe außen vor, auch wenn es dort an diesem Freitag auf Antrag der Grünen eine Anhörung zum Thema gibt.

»Wir sollten uns nicht auf ein unmoralisches Angebot einlassen.«

Claudia Maaß GEW-Landesvize Sachsen

Die GEW-Landesvize kündigte an, man werde »den öffentlichen Druck hochhalten«. Streiks sind nicht möglich; die nächste Tarifrunde für die Beschäftigten der Länder beginnt erst im Herbst. Dennoch werde es spürbare Proteste geben – auch wenn in Sachsens Schulen bald die Prüfungszeit beginnt, in der die Arbeitsbelastung für die Lehrer besonders hoch ist. Es komme »nicht von ungefähr«, dass Clemens seine Maßnahmen just zu diesem Termin vorgelegt habe, glaubt Maaß.

Dass die Proteste der Beschäftigten zumindest teilweise Erfolg haben, ist nicht ausgeschlossen. Der Minister hatte unlängst im Landtag eingeräumt, die Altersermäßigung sei »sicherlich der am emotionalsten diskutierte Punkt«. Auch Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) scheint mit Abstrichen an dem Paket zu rechnen; die Chemnitzer »Freie Presse« zitiert ihn mit der Äußerung, er hoffe, dass bei Clemens’ Vorstoß »am Ende mehr rauskommt als null«. Die GEW-Landesvize mahnt derweil, dass bei diesem auch andere Punkte kritikwürdig seien und revidiert werden müssten: »Wir sollten uns nicht auf ein unmoralisches Angebot einlassen.« So wolle der Minister viele bisher von Lehrern übernommene Aufgaben an Schulassistentinnen und -assistenten delegieren – die laut Maaß schlecht bezahlt und in der Regel nur befristet beschäftigt sind. Im Haushaltsentwurf, den der Landtag aktuell diskutiere, sei für sie zudem »gar kein Geld da«.

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