Mit Palästina-Fahnen gegen deutsche Abschiebepolitik

Berliner Demonstration thematisiert Lage von Geflüchteten und Asylpolitik – am Ende kommt es zu Gewalt

Demonstration in Wedding: Nicht nur gegen Abschiebungen, sondern auch gegen den Krieg in Gaza
Demonstration in Wedding: Nicht nur gegen Abschiebungen, sondern auch gegen den Krieg in Gaza

Am Ende fliegen wieder die Fäuste. Kurz vor Abschluss einer pro-palästinensischen Kundgebung gegen Abschiebungen an der Müllerstraße in Wedding, gegenüber des Leopoldplatzes stehen sich am Samstag Demonstrant*innen und Polizist*innen gegenüber. Die Demonstrant*innen rufen Parolen. Zuerst schubsen die Polizist*innen, dann schlagen und treten sie unvermittelt auf die Menge ein. Auch auf Videos, die auf sozialen Medien verbreitet werden, ist zu sehen, wie mehrere Demonstrant*innen ins Gesicht geschlagen werden und zu Boden gehen. Mehrere von ihnen werden aus der Menge gezogen.

Dem Angriff vorausgegangen waren mehrere Gewahrsamnahmen durch die Polizei. Man habe bei drei Personen verbotene Kennzeichen in Form von roten Dreiecken als Tattoo, Ohrring und auf einer Regenbogenflagge festgestellt und diese vorübergehend in ihrer Freiheit beschränkt, schreibt die Polizei in einer Pressemitteilung. Das rote Dreieck mit nach unten gerichteter Spitze wird als Symbol der Hamas gewertet. Als man eine Gefährderansprache durchgeführt habe, hätten Personen aus der Kundgebung heraus versucht, zum Ort der Gefährderansprache zu gelangen, so die Polizei. Man habe unmittelbaren Zwang in Form von Schieben und Drücken sowie »vereinzelt selektiv gezielte Faustschläge« angewendet, um das »massive Einwirken« auf die zum Schutz gebildete Polizeikette zu unterbinden. Wie eine Sprecherin der Polizei »nd« mitteilt wurden insgesamt neun Personen festgenommen.

Begonnen hatte die Kundgebung um 14 Uhr. Viele Palästina-Fahnen sind zu sehen, wie auch Banner und Fahnen verschiedener linksradikaler Gruppen. Unter dem Motto »Stop Deportation« hat ein Bündnis zu der Kundgebung aufgerufen. Sie richtet sich gegen die Abschiebung von Geflüchteten nach Griechenland. Weil auch Geflüchtete aus Gaza davon betroffen sind, hat die Mobilisierung weite Kreise gezogen. »Abschiebungen nach Griechenland sind seit Jahren wegen der unmenschlichen Lebensbedingungen für Asylsuchende ausgesetzt worden«, sagt eine Rednerin zu Beginn.

Die Aussetzung von Abschiebungen droht aber aufgehoben zu werden. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hatte im August 2024 entschieden, dass »arbeitsfähige, gesunde und alleinstehende junge männliche Schutzberechtigte« in Griechenland keiner Gefahr ausgesetzt seien, da sie in der »Schattenwirtschaft« arbeiten könnten. Am kommenden Donnerstag wird das Bundesverwaltungsgericht dazu entscheiden.

»Das sollte uns nicht beunruhigen, weil es eines Tages auch einem selbst passieren könnte, sondern weil es schon jetzt jemandem passiert.«

Rachael Shapiro
International Jewish Antizionist Network

»Das neue Urteil könnte eine Eskalation der verwerflichen Politik Deutschlands gegenüber Migrant*innen und Asylbewerber*innen sein«, führt die Rednerin weiter aus. Sie kritisiert auch, dass Asylanträge von Palästinenser*innen aus Gaza »eingefroren« seien, mit dem Vorwand die Situation in Gaza sei »unklar«. Das baue auf dem »bestehenden antipalästinensischen Rassismus und der Unterdrückung in Deutschland« auf, während Deutschland »aktiv an dem andauernden Völkermord teilnimmt, indem es die zionistische Besatzung militärisch, diplomatisch und wirtschaftlich unterstützt«.

»In einer Zeit der Militarisierung der EU-Grenzen und der Verschärfung der Politik gegenüber Einwanderern ist es dringend erforderlich, sich Solidaritätsnetzwerken anzuschließen«, sagt ein Redner der »No Border Assembly«, einer selbstorganisierten Versammlung von Geflüchteten. »Wir organisieren uns kollektiv und autonom, um Widerstand gegen Grenzen in allen Formen zu leisten«, sagt er. Das Leben in Lagern, fernab von Städten und die permanente Androhung von Abschiebungen machen das aber schwierig, so der Redner. Der deutsche Staat tue alles, um Einwanderer zu unterdrücken. »Wir werden illegalisiert. Unsere gesamte Identität und Anwesenheit in diesem Land wird kriminalisiert. Unsere Antwort darauf: Kein Mensch ist illegal, Bleiberecht überall.«

»Für mich als jüdische Person mit Geschichte in Deutschland – meine Familie wurde im Nazi-Genozid ermordet – sehe ich es als meine Pflicht, gegen diese Abschiebungen zu protestieren«, sagt Demonstrantin Rachael Shapiro im Gespräch »nd«. Shapiro ist Teil der Gruppe »International Jewish Antizionist Network«, die auch mit einem Banner auf der Kundgebung präsent ist. Die Bedingungen für Geflüchtete in Griechenland seien nicht sicher, sagt sie. »Das sollte uns nicht beunruhigen, weil es eines Tages auch einem selbst passieren könnte, sondern weil es schon jetzt jemandem passiert. Solidarität bedeutet genau das: Wir sagen, dass dies niemand abgeschoben werden sollte.«

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Für Shapiro stehen die Kriminalisierung von pro-palästinensischem Protest und die immer migrationsfeindlichere Politik in Deutschland miteinander in Verbindung. Antisemitismuvorwürfe würden instrumentalisiert, um einen »Genozid in Palästina« zu stützen. Ebenso würden sie genutzt, um Polizeigewalt gegen pro-palästinensische Demonstrationen und Abschiebungen zu rechtfertigen. »Die Wurzel ist deutscher Rassismus«, sagt sie. Bei rechten Parteien wie der AfD sei es offensichtlich, dass ihre Politik sich gegen Geflüchtete und Migrant*innen richte. »Aber wir sehen diese Positionen über das gesamte politische Spektrum hinweg.«

Während weitere Reden gehalten und Parolen gerufen werden, gibt es immer wieder Diskussion zwischen Ordner*innen der Kundgebung und der Polizei. Letztere will, dass die Kundgebungsteilnehmer*innen keine Schilder, Banner und Kufiyas hochhalten, damit anwesende Journalist*innen in die Kundgebung filmen können.

Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht eine kleine Gegenkundgebung mit Israel-Fahnen und einem Banner auf dem »deport criminals« (Kriminelle abschieben) steht. Für Unmut auf der propalästinensischen Kundgebung sorgt, dass eine Demonstrationsteilnehmerin ein T-Shirt mit dem Logo der »Kach« trägt, einer rechtsextremen Partei aus Israel, die dort wegen ihrer Unterstützung von Anschlägen auf die arabische Minderheit verboten wurde. Wie die Polizeimitteilt, haben in der Spitze sechs Personen teilgenommen und sie sei »ohne Vorkommnisse« verlaufen.

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