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Gottessuche
Warum haben weder Kosmonauten noch Astronauten den Allmächtigen im All gesichtet?
»Glaubst du, dass es Gott gibt?«, fragt mich Angelika. Ich zucke mit den Schultern. Komische Frage. Was weiß ich? »Die Kosmonauten müssen ihn doch schon entdeckt haben«, insistiert meine Mitschülerin, von der ich zunächst nur weiß, als dass ihre Eltern Christen sind und sie sechs Geschwister hat. »Na ja, das Weltall ist groß«, erwidere ich, weil ich spüre, dass es ihr wichtig ist. Nicht mir, Kind aus atheistischem Elternhaus.
Ich bin indes die Einzige in der Klasse, der sie sich anvertraut. Niemand will mit dem blassen, schüchternen Mädchen in den abgewetzten Klamotten etwas zu tun haben. Wir werden Freundinnen. Zwei 13-jährige Pankower Mädels, die gegensätzlicher kaum sein können. Ich von unbeschwerter Fröhlichkeit, sie von unergründlicher Traurigkeit. Später erfuhr ich, dass sie von Westberliner Sextouristen, die eben mal »rüber« kamen, prostituiert wurde.
Was hat das mit den sechs Girls zu tun, die sich diese Woche für zehn Minuten ins Weltall oder auch nur in die Stratosphäre oder Atmosphäre, was weiß ich, katapultieren ließen? Auf der Suche nach Gott waren sie gewiss nicht. Die Spritztour himmelan war für sie eine Gaudi, wie Shopping auf der Fifth Avenue. Gruppiert auf dem PR-Foto wie weiland die Crew vom »Raumschiff Enterprise«, suggerieren die Superweiber der US-amerikanischen High Society, darunter Sängerin Katy Perry und Lauren Sánchez, Verlobte von Amazon-Chef Jeff Bezos, Frauenpower.
Zugegeben, Frauen sind auch im Weltall unterrepräsentiert. Die erste Deutsche im All, die 29-jährige Berlinerin Rabea Rogge, hat ihre vier Tage just im April hoch droben für ernsthafte Forschung genutzt. Die erste Frau im All war eine Sowjetbürgerin: Walentina Tereschkowa, Tochter einer Textilarbeiterin und eines im sowjetisch-finnischen Winterkrieg 1939 gefallenen Traktoristen. 1963 hob sie mit einer »Wostok«-Rakete vom Kosmodrom Baikanur ab, umkreiste 48 Mal die Erde. Nietzsches Diktum »Gott ist tot!« ist ihr bekannt. Bei Katy Perry und deren Girlfriends weiß man’s nicht.
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