Alte Heimat Syrien, neue Heimat Sachsen

Nach dem Ende des Assad-Regimes schwanken syrische Exilanten in Deutschland zwischen Hierbleiben und Zurückkehren

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Viele Syrer in Deutschland verdienen als Selbstständige, etwa als Friseure, oder in Mangelberufen ihren Lebensunterhalt. Ihr Bleiberecht wird trotzdem in Frage gestellt.
Viele Syrer in Deutschland verdienen als Selbstständige, etwa als Friseure, oder in Mangelberufen ihren Lebensunterhalt. Ihr Bleiberecht wird trotzdem in Frage gestellt.

Sogar Sächsisch spricht sie. In der Kleinstadt Meerane, erzählt Hiba Hodaifa, habe sie die 10. Klasse abgeschlossen. Oder wie sie es ausdrückt: Sie hat sie »ferdsch« gemacht. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass sie in ihrer neuen Heimat angekommen ist: Der Dialekt liefert ihn.

Geboren wurde Hodaifa in Syrien. Ihre Familie gehört der Minderheit der Drusen an. Im Jahr 2015, als der Bürgerkrieg zwischen dem Assad-Regime und verschiedenen Rebellengruppen im vierten Jahr tobte, flüchtete ihre Mutter mit der damals 15-jährigen Tochter und vier Söhnen nach Deutschland. Sie landeten erst in Dresden, dann in einem Flüchtlingsheim in Meerane. Nach dem Schulabschluss nahm Hodaifa ein Studium an der Berufsakademie auf. Heute ist sie Bauingenieurin, arbeitet in einer Firma in Crimmitschau und wird von ihren Kollegen als unabkömmlich angesehen. Wenn es darum geht, ob Hodaifa wieder nach Syrien zurückkehren könne, sagen sie: »Komm’ bloß nicht auf die Idee!«

Die Frage, ob Menschen wie Hiba Hodaifa in Deutschland bleiben oder in das Land ihrer Herkunft zurückkehren, steht seit dem 8. Dezember vorigen Jahres im Raum. An diesem Tag endete der Bürgerkrieg mit der Flucht des bisherigen Machthabers Baschar al-Assad. Nur Tage später gab es bereits erste Forderungen aus den Reihen von CDU und AfD, die mögliche Abschiebungen syrischer Flüchtlinge forderten.

Im Koalitionsvertrag, den CDU/CSU und SPD am 9. April vorstellten, wird auf eine freiwillige Rückkehr orientiert. Man wolle Syrien bei der Stabilisierung und dem wirtschaftlichen Aufbau unterstützen, heißt es: »Somit ermöglichen wir auch die Rückkehr von Geflüchteten in ihre Heimat.«

Die Menschen, um die es geht, sind unsicher, ob sie nutzen wollen, was ihnen »ermöglicht« werden soll. »Die Lage im Land ist unklar«, sagt Omar Alkadamani, der 2017 mit seinen Eltern nach Deutschland kam, zunächst in Leipzig lebte und mittlerweile in Berlin studiert. Er sei wie die Mehrheit seiner Landsleute froh über den Sturz Assads und das Ende des millionenfachen Mordens: »Das war ein besonderer Tag in unserem Leben.« Ob aber auch schon die Voraussetzungen für eine Rückkehr gegeben seien? Alkadamani hat Zweifel.

»Wir wissen nicht, ob die Versprechen von Frieden halten oder ob wir in eine neue Diktatur gehen.«

Omar Alkadamani
Der 21-jährige Syrer lebt seit 2017 in Deutschland

Im Januar war er sieben Tage in Syrien. »80 Prozent der Städte sind zerstört«, sagt er. Der Kurs der neuen Regierung sei unklar, gerade wenn es um die Akzeptanz von Minderheiten gehe. Auch der 21-jährige Alkadamani ist Druse. Er hat mit Sorge die Berichte von Massakern an Alawiten im März registriert, zu denen sich die neue Regierung nur lapidar äußerte. »Wir wissen nicht, ob die Versprechen von Frieden halten oder ob wir in eine neue Diktatur gehen«, sagt er. Eine Rückkehr kann er sich daher zumindest im Moment nicht vorstellen.

Auch Geert Mackenroth hält entsprechende Aufforderungen für verfrüht. Der Richter und frühere sächsische Justizminister ist Ausländerbeauftragter in Sachsen. Im Freistaat lebten Ende 2024 gut 37 000 Syrer. Bundesweit waren ein Jahr zuvor 972 000 Geflüchtete aus Syrien registriert. Wegen der katastrophalen Lage in ihrem Land lag die sogenannte »Schutzquote«, also der Anteil positiv beschiedener Anträge auf Asyl, bei 99 Prozent. Der Regimesturz allein ändere die Lage nicht grundlegend, meint Mackenroth. »Wir können nicht sagen, dass es jetzt plötzlich kein Schutzinteresse mehr gibt«, sagt er. Dieses schon jetzt zu verneinen, halte er für »schräg«, fügt der CDU-Politiker hinzu.

Allerdings gibt es auch optimistischere Einschätzungen. Sie kenne etliche Familien, die schon wieder nach Syrien zurückgekehrt seien, berichtet Amira S. (Name geändert), die bereits seit Anfang 2011 in Sachsen lebt. Ihr Mann kam damals aus beruflichen Gründen nach Dresden, sie war »die Ehefrau, die Europa genießen sollte«, sagt sie.

Dann brach der Bürgerkrieg aus. 2014 wurde ihre Schwester auf offener Straße ermordet, »ein Wendepunkt in meinem Leben«. Die Kriegsjahre beschreibt sie als düstere Zeit, die das Land verheert hätten. Den derzeitigen Übergangspräsidenten Ahmed al-Sharaa vergleicht sie mit einem Mann, der »eine Ruine gekauft hat«. Die »Sanierung« werde dauern, sagt S., die Syrien bei allen aktuellen Problemen gleichwohl vor einem hoffnungsfrohen Neubeginn sieht: »Ich sehe dort gedüngte Erde.«

Ob in ihrer alten Heimat halbwegs stabile politische und wirtschaftliche Verhältnisse herrschen, ist freilich nur ein Aspekt, den sächsische Syrer bei der Frage von Zurückkehren oder Hierbleiben bedenken. Ein anderer sind die Wurzeln, die viele von ihnen in der Bundesrepublik geschlagen haben. Amira S. etwa hatte in Dresden zunächst in ihrem alten Beruf als Impfärztin zu arbeiten begonnen und absolviert jetzt eine Facharztausbildung als Dermatologin. Eine Rückkehr komme für sie frühestens nach deren Abschluss infrage, sagt sie.

Außerdem haben sie und ihr Mann in Sachsen drei Söhne, die deutschsprachig aufgewachsen sind und zumindest noch ihr Abitur in Deutschland ablegen sollen. Vielleicht, sagt sie, würde ein Umzug nach Syrien leichter fallen, wenn es in dortigen Städten deutschsprachige Kitas und Schulen gäbe: »Die Kinder haben Priorität.«

Wenn Menschen wie Amira S. nach Syrien zurückkehren würden, wäre das zweifellos ein Segen für den Wiederaufbau des Landes, das nach ihren Worten einst das beste Gesundheitssystem im Nahen Osten hatte und in dem heute die Impfquote katastrophal niedrig ist. Allerdings würde sie in Sachsen, wo Hautärzte zumindest außerhalb der Großstädte rar sind, ebenfalls schmerzlich vermisst. Das gilt auch für die Bauingenieurin Hiba Hodaifa und ihre Brüder, von denen zwei als Kfz-Mechatroniker arbeiten, einer als Altenpfleger und einer als Lagerarbeiter. Alle fünf tragen in Westsachsen dazu bei, den Fachkräftemangel zumindest ein wenig zu lindern.

Das sehen freilich nicht all ihre sächsischen Mitbürger so. Als unlängst die Regionalzeitung über Hodaifa berichtete, hagelte es unter dem Online-Artikel gehässige Kommentare. Zu den höflicheren Äußerungen gehörte der Vergleich ihres Lebenswegs mit der sprichwörtlichen Schwalbe, die noch keinen Sommer mache.

Nicht wenige Bundesbürger empfinden syrische Zuwanderer wie Hodaifa als unerwünschte Belastung und sähen sie lieber früher als später wieder in ihrem Herkunftsland. Bei einer Befragung des ZDF-Politbarometers kurz nach dem Regimewechsel in Syrien im Dezember 2024 erklärten sechs Prozent, die Flüchtlinge sollten »möglichst schnell« zurückkehren. 24 Prozent schränkten ein, das gelte nur für Zuwanderer ohne Job. 64 Prozent plädierten dafür abzuwarten, bis sich die Lage stabilisiert habe.

Die deutsche Politik könne zumindest dazu beitragen, den Betroffenen die Entscheidung zu erleichtern, sagt Omar Alkadamani. Sie solle es Syrern erleichtern, das Land zu besuchen, um sich ein Bild von der Lage in ihrer Herkunftsregion zu machen, ohne dass sich das negativ auf ihr Asylverfahren auswirke. Bisher, heißt es beim sächsischen Ausländerbeauftragten, könnten Reisen in das Herkunftsland dazu führen, dass ein aus humanitären Gründen erteilter Schutzstatus widerrufen werde. »Die bisherige Bundesregierung hat die Regularien sogar verschärft«, sagt Mackenroth.

Hiba Hodaifa wiederum könnte sich vorstellen, einige Monate nach Syrien zu gehen, um dort mit ihrer beruflichen Expertise zu helfen. Dauerhaft in das Land ihrer Geburt zurückzukehren, sei für sie undenkbar, sagt sie. Sie habe in Westsachsen den größeren Teil ihres Lebens verbracht, habe Freunde, Familie und einen Beruf. »Das hier ist meine Heimat«, sagt sie: »Syrien ist für mich inzwischen ein fremdes Land.«

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