Wo Kanalarbeiter Frauen untern Rock schauen
Die slowakische Hauptstadt Bratislava lockt mit Historischem wie Kuriosem
Was ist zu halten von einer Stadt, die einen Lustmolch als Touristenattraktion hat, einen umgestülpten Tisch als Wahrzeichen und eine Brücke mit Ufo?
Über den Lustmolch stolpert beinah jeder Stadtbummler auf den ersten Metern: Mitten in der Fußgängerzone von Bratislava ragt der Kopf eines Mannes aus der Kanalisation, neben sich einen scheinbar beiseite geschobenen Gullydeckel. »Cumil« (der Gaffer) heißt der vermeintliche Kanalarbeiter. »Der will den Frauen unter den Rock gucken«, erklärt Stadtführer Milan Bilacic, während sich vor allem die Frauen aus einer deutschen Touristengruppe mit »Cumil« knipsen lassen. Eine von ihnen entdeckt dabei an der nächsten Hausecke einen weiteren Fotografen, den »Paparazzo«. Ebenfalls eine Skulptur, von denen so einige in Bratislavas Innenstadt lümmeln oder lehnen, allesamt Botschafter der wahrscheinlich gemütlichsten Hauptstadt Europas.
Prunk und Prachtboulevards? Betonierte Macht-Kolosse oder glitzernde Glaspaläste? Gibt's alles nicht in Bratislava. Dafür einen historischen Stadtkern, der in den vergangenen Jahren mit viel Geschick und Bedacht renoviert wurde. Dieses Altstadtgassen-Labyrinth mit Türmchen, Palais und Kneipen wurde von den Restauratoren zwar herausgeputzt, das Gesicht der Stadt aber nicht zum kitschigen Postkartenidyll umgeschminkt.
Durchstreifen lässt sich die slowakische Hauptstadt am besten auf den Spuren von Königinnen und Königen. Insgesamt 19 Herrscher Ungarns und Österreichs wurden zwischen 1563 und 1830 in Bratislava gekrönt, darunter auch Maria Theresia. Jeder dieser Regenten absolvierte anschließend im Rahmen einer Parade den sogenannten Krönungsweg kreuz und quer durch die Stadt. Den gibt's heute noch, markiert mit 178 goldfarbenen Minikronen, die ins Kopfsteinpflaster eingeschlagen sind. Ein königlicher und kostenloser Schnitzeljagd-Spaß vor allem für Kinder.
Rechts und links davon, wahlweise auch in den umliegenden Gassen, gibt es eine erstaunliche Zahl von Kneipen, Cafés und Restaurants. Mit Sonnenschirmen, Tischen und Stühlen verwandeln sie Bratislavas Zentrum von Frühling bis Herbst in mediterrane Flaniermeilen, die im Sommer per Lasershow in ein sehenswertes Farbenspiel getaucht werden.
Auf den Speisekarten, etwa vom »Restaurant Altstadt«, stehen selbstbewusst slowakische Spezialitäten wie Krautnockerln mit Speck und Vinea, eine leckere Weintraubenlimonade. Anbiederungsversuche an westliche Touristenteller sind selten und lesen sich so: »Gefüllt beißend Schnitzel.« Soll heißen: Cordon bleu, gut gewürzt. Das »Café Roland« am Hauptplatz (Hlavne Namestie 5) ringt mit dem genau gegenüberliegenden »Café Mayer« um den Titel des ersten Hauses der Stadt. Nicht auszumachen, wo Bratislavas Konditorenspezialitäten – Nuss- und Mohnkipferl – besser schmecken.
Klar ist angesichts dieser Kaffeehäuser auch: Wien liegt gleich um die Ecke, genau gesagt: 60 Kilometer entfernt. Das haben auch die Produzenten des Films »Projekt Peacemaker« erkannt und ihre Hauptdarsteller George Clooney und Nicole Kidman kurzerhand nach Bratislava kutschiert, um hier ein paar Szenen zu drehen, die eigentlich in Wien spielen. In der slowakischen Hauptstadt war der Dreh halb so teuer wie in der österreichischen. Weshalb Filmleute und auch Touristen wegen durchweg niedriger Preise gern von »Gratislava« sprechen. Das können Bratislava-Besucher auch beim Bezahlen ihrer Rechnung in günstigen und guten Hotels ebenso sagen wie in vielen Restaurants oder im Museum, wo ein Ticket gerade mal umgerechnet 75 Cent kostet.
Leider sind auch an Bratislava Bausünden der Nachkriegszeit nicht spurlos vorbeigegangen. Wie gleich neben dem Martinsdom, wo in den späten Sechzigern das jüdische Viertel einschließlich Synagoge weitgehend abgerissen und stattdessen eine vierspurige Asphaltschneise angelegt wurde. Die Folge: Der 1452 erbaute Dom leidet und bröselt seitdem unter Erschütterungen und Abgasen mehr als in den gut 500 Jahren zuvor, sagt Stadtführer Bilacic. Und Konkurrenz als Aussichtsturm hat die Kirche auch noch bekommen – ausgerechnet in Form eines Ufos hoch oben auf der »Neuen Brücke« in 95 Meter Höhe. Vom Besucherdeck hat man einen beeindruckenden 360-Grad-Rundumblick auf Donau und Dom, die Altstadt und auf das Wahrzeichen von Bratislava – den »umgekippten Tisch«. So nennen die Einwohner Bratislavas ihre Burg. Der Grund: Ihre Türme sehen aus wie die in den Himmel ragenden Beine eines Tisches, der auf dem Rücken liegt.
Infos: Slowakische Zentrale für Tourismus, Zimmerstr. 27, 10969 Berlin, Tel.: (030) 259 426 40, Fax: (030) 258.993.64, E-Mail: Tourismus@botschaft-slowakei.de, www.slovakia.travel
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