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Der schleichende Massenmord

Vertuschter Skandal: Die tödlichen Wirkungen der Urangeschosse / Folgen werden verharmlost oder verschwiegen

  • Brigitte Runge und Fritz Vilmar
  • Lesedauer: 7 Min.
Etwa 30 Staaten der Welt besitzen in ihren Militärdepots außerordentlich wirksame panzer- und bunkerbrechende Munition, die in Kriegsgebieten und weit darüber hinaus schleichend den Massenmord bewirkt durch massenhaft entstehenden radioaktiven Staub. Die hohe militärische Bedeutung, die tatsächlich massenmordähnlichen Auswirkungen in den betroffenen Gebieten (und weit darüber hinaus) sind ebenso nachweisbar wie die bisherigen Versuche der Geheimhaltung oder Verharmlosung seitens der offiziell Verantwortlichen. Die von uns dazu vorgelegte umfassende Untersuchung kann sich jeder Interessierte problemlos beschaffen (siehe Hinweis am Ende des Textes).
Der Skandal der neuen Uranwaffen wird verschärft durch den weit gehenden Mangel einer angemessenen öffentlichen Wahrnehmung. Weder die Soldaten noch die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten erhielten eine auch nur einigermaßen realistische Information über die hohe, tödliche Gefährlichkeit des radioaktiven Staubes, der durch die Explosion dieser Geschosse freigesetzt wird. Dieser Staub stellt eine Bedrohung für die Erde und das Überleben der Menschheit dar: Die Radioaktivität verteilt sich um den Erdball; die genetischen Schäden bei Menschen, Tieren und Pflanzen setzen sich über Generationen fort; ganze Gebiete werden unbewohnbar. Im Auftrag des »Arbeitskreises für Friedenspolitik« haben wir diese Gefahren analysiert, die furchtbaren Schäden dokumentiert und nicht zuletzt Maßnahmen aufgelistet, die zur Abschaffung dieser Waffensysteme und zur Beendigung ihrer Anwendung getroffen bzw. intensiviert werden müssen. Dies betrifft insbesondere eine Kampagne weltweiter Information auf wissenschaftlicher und allgemeinpublizistischer Ebene.

Vom Atommüll zu »Wuchtgeschossen«
Abgereichertes Uran (depleted uranium, DU), ist Atommüll, der in Atomkraftwerken anfällt. Anstatt nun aber den radioaktiven Sondermüll sicher zu entsorgen, wird er in den USA der US-amerikanischen Rüstungsindustrie kostenlos zur Verfügung gestellt. Abgereichertes Uran selbst ist ein chemisch hochgiftiges und radioaktives Material, welches auf Grund seiner hohen Dichte in panzerbrechender Munition eingesetzt wird. Es ist 1,7mal dichter als Blei. Das gibt den Urangeschossen eine erhöhte Reichweite und Durchschlagskraft. Sie gehören zu einer Kategorie von Waffen mit dem Namen »Wuchtgeschosse« (kinetic energy penetrators). Den Teil der Waffe, der aus Uran besteht, nennt man den Penetrator. Die Biologin und Krebsexpertin Rosalie Bertell stellt dazu fest: »Bei dem Aufschlag auf ein hartes Ziel entzündet sich Uran. Die Temperatur des durch DU entstehenden Metallrauches liegt zwischen 3000 und 6000 Grad Celsius. Bei dieser hohen Temperatur nimmt das Uranoxid Keramikeigenschaften an und es wird unlöslich in Körperflüssigkeiten. Aus diesem Grund wird das einmal eingeatmete Uranoxid zur chronischen Quelle einer Uranschwermetall- und einer radioaktiven Kontaktstrahlungsvergiftung im Körper. Die Nanopartikel aus Uranoxid, die in dem Metallrauch entstehen, können eingeatmet in Körperzellen eindringen und eine maximale Strahlendosis an das Gewebe abgeben.« Angesichts der Befürchtungen um die Folgekosten und die Gesundheit der Bevölkerung haben Regierungen anfangs oft den Einsatz von Uranmunition abgestritten. Es ist heute klar, dass Uranmunition von den USA und Großbritannien in großem Umfang im Golfkrieg 1991 verwendet wurde, dann in Bosnien, Serbien und in Kosovo, und erneut durch die US-Amerikaner und die Briten im Irak-Krieg 2003. Es besteht der Verdacht, dass die USA Uranmunition 2001 auch in Afghanistan eingesetzt haben, obgleich sowohl die Regierungen der USA als auch Großbritanniens dies bestritten haben. Transportdokumente, die durchgesickert sind, legen allerdings nahe, dass die US-Streitkräfte in Afghanistan Uranwaffen hatten.

Radioaktiver Staub – vom Winde verweht
Der hochgiftige radioaktive Staub ist teilweise unlöslich, teilweise schwerlöslich. Die Streuung des Staubes beinhaltet Partikel im Submikronbereich, die leicht eingeatmet und in den Lungen zurückbehalten werden. Über die Lungen werden die Uranverbindungen aufgenommen und in den Lymphknoten, den Knochen, dem Gehirn und den Hoden abgelagert. Feste Ziele, die von Urangeschossen getroffen wurden, sind von diesem Staub umgeben. Untersuchungen beweisen, dass er viele Kilometer weitergetragen wird, wenn er wieder aufgewirbelt wird, was in einem trockenen Klima wahrscheinlich ist (Uranstaub aus Irak wehte bis nach England). Der Staub wird gleichermaßen von Zivilpersonen und Militärs eingeatmet oder über die Nahrung aufgenommen. Die Uranmunition ist die Ursache für eine starke Zunahme der Neuerkrankungen mit Karzinomen – wie Brustkrebs oder Lymphomen – in Gebieten Iraks nach 1991 und 2003. Die Uranbelastung führt auch zu vermehrten Geburtsfehlern in Gegenden, die an die Schlachtfelder des Golfkrieges grenzen. In Irak haben die Missbildungen bei Babys dramatisch zugenommen: von drei auf 22 von 1000 Kindern zwischen 1991 und 2001 – mit Schwerpunkt im damals heftig umkämpften Süden Iraks. Laut Pentagon und UNO wurden 1991 im Golfkrieg zwischen 330 und 375 Tonnen Uranmunition eingesetzt, im Irak-Krieg seit 2003 2200 Tonnen. Für Kosovo, Bosnien und Serbien schwanken die Angaben zwischen elf und 30 Tonnen. Klar ist, dass weitaus mehr in städtischen Gebieten verwendet wurde. Die USA haben die Herausgabe von Daten über die Einsatzorte ihrer Uranwaffen an das UN-Umweltprogramm (UNEP) durchweg verweigert.

Gesundheitsschäden durch DU-Einsatz
Man kann die durch Uranmunition bzw. Uranstaub verursachten Gesundheitsschäden nach folgenden drei Aspekten klassifizieren: Der direkte Hautkontakt mit abgereichertem Uran verursacht schwere Erkrankungen an der Hautoberfläche. Über Nahrung und Atmung kann zweitens feiner Uranstaub vom Körper aufgenommen werden. Uran ist wie alle Schwermetalle hochgiftig, deshalb betrifft der zweite Aspekt die chemisch-toxischen Wirkungen von Uran. Nachhaltig schädigend ist, drittens, eine allmählich einsetzende chronische Uranvergiftung, hervorgerufen durch radiotoxische Wirkungen. Im Golfkrieg 1991 wurden 750 000 US-amerikanische und britische Soldaten eingesetzt. Im Jahr 2002 waren zirka 250 000 Veteranen am Golfkriegssyndrom erkrankt, etwa 10 000 von ihnen sind verstorben.

Strategie der Verharmlosung
Obgleich wir in unserer Analyse soweit wie möglich Quellennachweise für den Skandal liefern, ist es eine Tatsache, dass die langjährigen politischen Strategien der Verheimlichung und Verharmlosung der furchtbaren Uranmunition-Folgen es vielfach unmöglich machen, exakte, übereinstimmende Aussagen über die Größenordnung des Einsatzes, der verursachten menschlichen Schädigungen etc. auszumachen. Allerdings sind diese unvermeidlichen Ungenauigkeiten in einigen Detailfragen für die Feststellung der weit reichenden Schäden an Menschen und in der Natur, das heißt für die Feststellung des unbestreitbaren Tatbestandes eines schleichenden Massenmords, vollkommen irrelevant: Die vorliegende Bilanz des unleugbaren Leidens und qualvollen Sterbens zahlloser Zivilisten in den Kampfgebieten und deren Umgebung (meist in überfüllten Kliniken) wie auch Tausender Veteranen spricht eine furchtbar klare Sprache. Noch darüber hinausgehende »Belege« zu fordern, ist purer Zynismus von Verantwortlichen und ihren »wissenschaftlichen« Wasserträgern, die den Militärstaat von seinen Versorgungsverpflichtungen freihalten wollen. Die zentrale Verharmlosungsstrategie der offiziellen Publizistik, insbesondere in den USA, die die von der Kritik vorgelegten Zahlen der Opfer in Frage stellt, ist genau so widersinnig wie das Argument der Holocaust-Leugner, in Auschwitz seien ja gar nicht sechs Millionen, sondern nur ein oder zwei Millionen Juden ermordet worden. Wie verlogen aber diese Verharmlosungs-Publizistik operiert, muss wider Willen sogar Dan Fahey, ein hochrangiger US-Militärexperte und Wissenschaftspublizist, eingestehen, der in seiner Arbeit über die Uranwaffen an verschiedenen Stellen erbost die platten »Lügen« des Department of Defense im Interesse einer »seriösen« Verteidigung der US-Militärpolitik beim Namen nennen muss: »This lie was created... to calm European concerns about DU-ammunition used in the Balkans.«.

Unterschlagene Forschungsberichte
Dass sogar ein prominenter publizistischer Vorkämpfer der Verharmlosung des DU-Waffen-Skandals sich von den plumpesten Vertuschungsversuchen des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums distanzieren muss, zeigt das Ausmaß des Skandals. So haben mächtige US-amerikanische Akteure seit dem Januar 2001 erfolgreich Presseorgane und Wissenschaftler unter Druck gesetzt, mit dem Ergebnis, dass seitdem weithin Grabesstille an die Stelle der bis dahin lebhaften kritischen Diskussion über Uranmunition trat. Dieses Totschweigen reicht bis in Teile der Friedensbewegung. Beschönigende Berichte wurden von der »Internationalen Kommission für Strahlenschutz« (ICPR) wie auch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) veröffentlicht. Zugleich wurden Forschungen des Radiobiologischen Instituts der US-Streitkräfte (AFFRI) unterdrückt und serbische Untersuchungen von Soldaten nach dem Bosnienkrieg 1996 verheimlicht. Im selben Jahr wurde, trotz gegenteiliger Untersuchungsergebnisse, in einem Schlussbericht der US-amerikanischen Regierung über »Gulf War Illnesses« wahrheitswidrig behauptet, es sei »unwahrscheinlich, dass die gesundheitlichen Auswirkungen, die von den Golfveteranen beklagt werden, auf die Einwirkung von DU zurückzuführen sind«. Weitere Belege für US-offizielle Behinderungen der wahrheitsgemäßen Uranwaffen-Berichterstattung, die wir aus Raumgründen hier nicht zitieren können, haben wir in unserer vollständigen Dokumentation publiziert. Das Schlimmste aber sind die Berichte über Bedrohungen der Zeugen – herausragend die Mordanschläge auf den Pionier der Uranmunition-Forschung, Prof. Siegwart-Horst Günther. In Deutschland wurde die Verwendung von Uranmunition (z. B. auf Truppenübungsplätzen oder von Herstellern zu Testzwecken) von der Bundesregierung jahrelang verschleiert und nur unter öffentlichem Druck Anfang des Jahres 2001 sehr zögerlich zugegeben.

Friedensbewegung ist gefordert
Angesichts der tödlichen Folgen des Einsatzes von Urangeschossen haben sich inzwischen immerhin zahlreiche internationale Akteure und Institutionen vehement gegen diese Waffen gewandt. Im Jahr 2000 wurde eine von vielen Friedensgruppen getragene Resolution formuliert, in der vor allem gefordert wird:

Vernichtung aller DU-Munitionsbestände und sichere Endlagerung des Urans in stabiler chemischer Verbindung; Verbot der zivilen Nutzung von DU; Dekontamination aller DU-verseuchten militärischen und zivilen Geräte; Dekontamination aller DU-verseuchten Gebiete, Beseitigung der Folgeschäden von DU-Anwendung gemäß der allgemeinen völkerrechtlichen Haftungsgrundsätze. Die wichtigste Forderung aber ist: die Ahndung der Verwendung von DU-Waffen als Kriegsverbrechen. Staaten, die diese Waffen verwendet haben oder noch verwenden, müssen zur Rechenschaft gezogen, vor einem internationalen Gerichtshof angeklagt und verurteilt werden. Die Internationale Friedensbewegung ist hier gefordert.

Der Text fasst eine Analyse zusammen, die von den Autoren als 50-seitige Broschüre im Auftrag des »Arbeitskreises für Friedenspolitik« erarbeitet worden ist (erweiterte Auflage, mit allen Quellen, 2007) und gegen einen Druckkostenbeitrag von einem Euro (per Briefmarke) von diesem angefordert werden kann: AKF, Gardeschützenweg 27, 12203 Berlin. Sie kann auch auf der Internetseite www.friedenspolitik.com ungekürzt mit allen Quellennachweisen kostenlos heruntergeladen werden.

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