Nach 22 Jahren wieder Staffel-Gold
Deutsches Frauen-Quartett sorgt für Sensationssieg mit 1,3 s vor Norwegen
Sonst hätten sie ihre schönen Zöpfe verloren
Am 21. Februar 1980 hatte die DDR-Staffel mit Marlies Rostock, Carola Anding, Veronika Hesse und Barbara Petzold in Lake Placid den letzten deutschen Langlauf-Olympiasieg erkämpft. Deren damalige Schlussläuferin Barbara Petzold war erste Gratulantin in Soldier Hollow.
Nach einem dramatischen Rennen lag das deutsche Quartett 1,3 Sekunden vor Norwegen. »Das ist gigantisch, was hier abgegangen ist«, jubelte Bundestrainer Jürgen Wolf, der nach diesem Winter aus dem Amt als Bundestrainer scheidet, dessen Nachfolge der jetzige Langlauf-Koordinator Jochen Behle antreten soll. Wolf verwies aber auch darauf: »Unsere Konzentration auf die Staffel und Sprints hat sich ausgezahlt.« Die mit einem Durchschnittsalter von 24 Jahren sehr junge Mannschaft soll den Höhepunkt eigentlich erst bei der WM 2005 in Oberstdorf und den Winterspielen ein Jahr darauf in Turin erreichen. Scherzhaft erzählte Wolf noch, dass er den mit geflochtenen Haaren gestarteten Läuferinnen gedroht habe: »Wenn es mit der Medaille nichts wird, schneiden wir die Zöpfe ab.« Da musste es ganz einfach mit einer Medaille klappen. Aber an Gold hätte keiner gedacht.
Die deutschen Läuferinnen waren fassungslos. »Wir sind Olympiasieger. Ich kann das noch gar nicht glauben«, sagte Manuela Henkel, deren mit zwei Biathlon-Goldmedaillen dekorierte Schwester Andrea Tränen der Freude vergoss. Viola Bauer strahlte: »Es ist gigantisch. Ich habe gewusst, dass heute alles drin ist.«
Lazutina mit einem zu hohen Hämoglobinwert
Das favorisierte Quartett Russlands war kurz vor dem Start wegen eines erhöhten Blutwertes von Larissa Lazutina aus dem Rennen genommen worden. Bei der obligatorischen Kontrolle durch das IOC war die 36-Jährige mit einem Hämoglobinwert von 16,8 getestet worden, der erlaubte Grenzwert liegt bei 16,0. Die fünfmalige Olympiasiegerin wurde daraufhin mit einer automatischen Schutzsperre von 14 Tagen belegt.
»Je mehr Kontrollen durchgeführt werden, desto besser für uns«, hatte Behle schon im Vorfeld erklärt. Er reagierte sofort auf das fünf Minuten vor dem Start bekannt gegebene Aus für den Favoriten und änderte die Taktik seines Quartetts. »Eigentlich wollten wir die Russinnen laufen lassen. Dann aber habe ich der Manuela gesagt, bleibe dran«, erläuterte Behle. Da die Regeln so kurz vor dem Start keine Nachnominierung einer Ersatzläuferin erlauben, mussten die auf den Einzelstrecken bereits mit zwei Mal Gold dekorierten Russinen tatenlos zuschauen, wie die Medaillen verteilt wurden.
Die deutsche Staffel war von Anbeginn im Bilde. Startläuferin Manuela Henkel wechselte nach einer tollen Vorstellung sogar als Erste. »Ich hatte einen super Ski. Wo die anderen arbeiten mussten, konnte ich mitfahren«, lobte die 27-jährige Oberhoferin, »wenn man vorne läuft, wachsen einem Flügel. Da merkt man gar nicht, wenn die Beine schwer werden.« Zum ersten Mal überhaupt ging Viola Bauer als Spitzenreiterin in die Loipe. »Das beflügelt ungemein«, schilderte die Oberwiesenthalerin, die wie erwartet Norwegens Olympiasiegerin Bente Skari knapp vorbeiziehen lassen musste. »Ich hatte mit ihr gerechnet«, meinte die Olympia-Fünfte im Jagdrennen.
Ein dramatisches Duell auf der Zielgeraden
Auf der dritten Schleife konnte Claudia Künzel zwar nicht ganz mit der Norwegerin Hilde Pedersen Schritt, den Rückstand mit 9,4 Sekunden aber in Grenzen halten. »Ich bin froh, dass ich gut durchgekommen bin«, meinte die Olympia-Vierte im Sprint. Im Duell der Sprinterinnen hatte dann Evi Sachenbacher gegen Anita Moen das bessere Ende für sich. »Ich habe schon zwei Kilometer vor dem Ziel überlegt, wie ich es am besten mache«, schilderte die 21-jährige Bayerin nach ihrem zweiten Medaillengewinn. »Als Moen bei der Stadion-Einfahrt an mir vorbei rauschte, dachte ich: Mist, das war's. Doch auf der Zielgeraden merkte ich, dass noch was ging.« Und sie bat später um eine Video-Kassette vom Zieleinlauf: »Ich kann mich nämlich an nichts mehr richtig erinnern, was dann passierte.«
Zwischen Triumph hier und Misstönen dort
Den größten Triumph ihrer Karriere ließen sich die vier deutschen Läuferinnen auch durch die Misstöne aus dem russischen Lager nicht vermiesen. »Wir haben das Rennen gewonnen, das stattgefunden hat. Sollen sie doch protestieren wie sie wollen. Das interessiert mich nicht«, gab sich Manuela Henkel bei der Siegerehrung gelassen. Evi Sachenbacher legte nach: »Wir sind die wahren Sieger. Wir feiern unsere Goldmedaillen.«
Während sich der bei den letzten vier Winterspielen siegreiche Top-Favorit Russland um Gold betrogen und als »Opfer einer großen Verschwörung« fühlte, hatten die Deutschen dafür kein Verständnis für die Forderung von russischer Seite, den anderen drei russischen Läuferinnen die Goldmedaille zuzuerkennen. »Die Forderungen sind doch ein Stück aus dem Tollhaus. Das umso mehr, als bei der Mannschaftsführersitzung vor dem Rennen klipp und klar gesagt wurde, dass die gesamte Mannschaft nicht antreten darf, wenn bei einer Läuferin überhöhte Werte festgestellt werden«, reagierte Langlauf-Cheftrainer Jürgen Wolf darauf.
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