Dirlewangers SS-KZler

  • Gerhard Zwerenz
  • Lesedauer: 3 Min.
Der 1925 in Sachsen geborene Schriftsteller desertierte im August 1944 von der Wehrmacht. ND-
Der 1925 in Sachsen geborene Schriftsteller desertierte im August 1944 von der Wehrmacht. ND-

Anfang August 1944, zu Beginn des Warschauer Aufstands, wurde ein dort einfahrender Zug durch Minen gestoppt und beschossen. Ich sprang raus und befand mich unter dem Kommando einer wild uniformierten Herrenrasse, deren Anführer einen Affen auf der Schulter trug und mich mit Erschießung bedrohte, sollte ich mich entfernen. Ich ging trotzdem weg. Weil der ND-Chefredakteur mich für das Buch »Weder Kain noch Abel« danach fragte, antwortete ich: »Das Zusammentreffen mit den Dirlewanger-Leuten, das höllische Bombardement und die bestialische Niedermetzelung des Aufstands waren das Schmutzigste, was ich als Soldat erleben musste. Mit diesem Krieg wollte ich nichts mehr zu tun haben. Ich war reif für den Abschied.« (S. 23)

Dr. Oskar Dirlewanger war Kommandeur des nach ihm benannten SS-Strafbataillons und Hitlers Lieblingsbarbar. Wer den Spuren dieser Kriegsverbrecherbande folgt, braucht starke Nerven. Der »Spiegel« widmete letzten Montag, am 21. Juli, Dirlewangers Anteil an der Niederwerfung des Warschauer Aufstands von 1944 einen langen illustren Artikel, der Scheußlichkeiten anreiht, aber dem Affen auf Dirlewangers Schulter zu viel Zucker gibt. Es geht um KZ-Häftlinge, die in Strafeinheiten wie die 999er, doch auch zu Hunderten in die Dirlewangertruppe geholt wurden. Das Magazin informiert, fast 20 von ihnen sollen später »das Ministerium für Staatssicherheit mit aufgebaut haben, eine Repressionsbehörde besonderer Art«.

Dieser Vergleich von SS-Dirlewanger und der Stasi ist so falsch wie infam, passt aber in die neonationale Verlogenheit. Der letzte »Spiegel«-Satz dazu lautet: »Andere stiegen auf in ›sogar höchste Funktionen‹ – einer, Alfred Neumann, wurde gar Mitglied des Politbüros.« Womit das Agitations-Muster klar ist. Zuerst der Massenmörder Dirlewanger, am Ende das Politbüromitglied Alfred Neumann.

Was man dagegen wissen muss: Die KZ-Häftlinge gingen nicht freiwillig zu Dirlewanger. Beispiel: Wie kam Alfred Neumann zur SS? Widerstand, Flucht, Sowjetunion, Ausweisung, Spanienkrieg, verwundet, durch Pétains Frankreich an die Gestapo ausgeliefert, acht Jahre Zuchthaus, 1945 zu Dirlewanger gepresst, Desertion, bis 1947 im Gefangenenlager, dann DDR-Minister, ab 1990 Rentner, angeklagt wegen »Totschlag und Körperverletzung an der innerdeutschen Grenze«. Der Historiker Siegfried Prokop über Alfred Neumann: »Poltergeist im Politbüro«.

Gut so, Poltergeister sind un-sterblich. Noch einer hier, der diesen A.N. anklagen möchte? Wer einmal zu des Führers makabren Dirlewangern verbannt war, wird nie mehr in den ungestörten bürgerlichen Schlaf finden. Und wer mehr von der Widerstands-Tragödie dieser Genossen wissen möchte, die Hitler von Anfang an bekämpften, der lese »Das große Dilemma – Leipziger Antifaschisten in der SS-Sturmbrigade Dirlewanger« von Jutta Seidel. Ich zitiere sie u. a. in »Sklavensprache und Revolte«.

So viel auch für den »Spiegel« zur Aufbesserung historischer Kenntnisse. Dies ebenfalls jenem fahneneidtreuen Wehrmachtsoffizier, der den Krieg trotz besseres Wissens bis zur letzten trüben Stunde fortsetzte und sich kürzlich vor dem Reichstag jungen Rekruten als Vorbild präsentieren ließ.

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