Die »152« hob zweimal ab und landete nur einmal
Vor 50 Jahren startete der erste deutsche Passagierjet – das Prestige-Projekt der DDR wurde von der Sowjetunion gestoppt
Wenn jene, die dabei waren, vom 4. Dezember 1958 berichten, werden ihre Augen feucht. Gegen elf Uhr stand das silberglänzende Flugzeug auf der Startbahn. Die Besatzung – Willi Lehmann, Kurt Bemme und Paul Heerling – wartete auf die Startfreigabe. Gerade war eine Aero 45 vom Wetterflug gekommen, die Bedingungen waren ideal. Freie Sicht, kein Schnee, nur mäßige Winde. Um 11.18 Uhr heulten die vier Triebwerke auf, die »152« V1 wurde schneller, noch schneller, die verglaste Nase hob sich, das Flugzeug löste sich von der Erde. Der Anstellwinkel war gering, man tastete sich vorsichtig ins Neuland vor.
Die Maschine stieg auf 1500 Meter, das Fahrwerk blieb ausgefahren, die Geschwindigkeit gedrosselt. Nach einer ganz weiten Runde bei Dresden überflog Kommandant Lehmann den Platz. Vor den neu gebauten Produktionshallen brach Jubel aus. Geschafft! Der sozialistische Aufbau schien Flügel bekommen zu haben. Doch die wurden rasch gestutzt. Durch eigenes Unvermögen und die Hilfe der »Freunde«.
Letztlich begonnen hatte das Abenteuer schon im Krieg, als bei Junkers in Dessau immer neue Werkzeuge für Hitler-Deutschlands Eroberungsziele konstruiert und gebaut wurden. Junkers Düsentriebwerke verbunden mit fortschrittlichster Aerodynamik sollten den »Endsieg« erringen helfen. Daraus wurde glücklicherweise nichts. Statt in Dessau konstruierten Junkers-Leute in den kommenden Jahren Militärflugzeuge in der Sowjetunion und wiesen eine ganze Generation sowjetischer Konstrukteure in die Geheimnisse deutscher Ingenieurkunst ein.
Zu den Lehrern im fast goldenen Käfig gehörte Fritz Baade. Sein »Dessauer Kollektiv« konstruierte im Auftrag der sowjetischen Verteidigungsindustrie unter anderem den Bomber EF-150. Und was Bomben transportieren konnte, kann auch – wenn man den Rumpf etwas ziviler gestaltet – Passagiere in friedlicher Absicht transportieren. Und so vereinbarte man zur Rückkehr der Deutschen quasi per Handschlag, dass die junge DDR das sozialistische Lager – zumindest aber die Sowjetunion – mit Mittelstrecken-Düsenpassagierflugzeugen und anderen ausstatten wird. Blauäugig, doch mit viel Enthusiasmus ging man ans Werk, stampfte einen völlig neuen Industriezweig aus der Erde. Rund ein Zehntel des Investitionshaushaltes steckte man in das Projekt: rund 3 Milliarden Mark.
Doch die Träume verflogen rasch. Die »Freunde« hatten plötzlich andere Interessen. Die Fachleute fühlten sich betrogen – ein Gefühl, das sich zu RGW-Zeiten fest in DDR-Planungsbehörden einnisten sollte. Und Parteichef Ulbricht? Der wagte einen letzten Versuch, wollte die Maschine über der Leipziger Frühjahrsmesse präsentieren. So dass sein Gast, Nikita Sergejewitsch Chruschtschow, der sowjetische Staats- und Parteichef, beeindruckt sein musste. Doch die »152« kam nicht bis Leipzig. Wohl startete sie am 4. März um 12.55 Uhr in Dresden-Klotsche, doch 55 Minuten später bohrte sich das Flugzeug in den Boden. Die Besatzung kam ums Leben. Es gab viele Gerüchte um die Unglücksursache, auch von Sabotage durch den Westen war die Rede. Die wahrscheinlichste Ursache ist jedoch ein unzureichendes Kraftstoffsystem.
Das hatte irgendwie auch etwas Symbolisches. Immerhin hing die DDR stets am Tropf der Sowjetunion. Und wenn die den Hahn zudrehte ... starb in dem Fall ein so hoffnungsträchtiger Industriezweig wie der des DDR-Flugzeugbaus. Fortan sollten sich die deutschen Genossen mehr um Chemie kümmern, hieß es aus Moskau. Auch eine Idee, die letztlich – sogar im Wortsinn – zum Himmel stank.
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