- Politik
- LINKE diskutiert über ihr Verhältnis zu Europa
»Die Linke verteidigt die europäische Integration«
Lothar Bisky zur EU, zum Lissabon-Vertrag und zur Kandidatenliste
ND: Mitte Januar hat der Bundesausschuss seine Vorschläge für die Kandidaten zur Europawahl vorgelegt. Sind Sie als Spitzenkandidat mit der Liste zufrieden?
Bisky: Es geht nicht um meine Zufriedenheit. Der Souverän fällt eine Entscheidung. Das ist in dieser Frage der Parteitag Ende Februar. Bis dahin kann es weitere Kandidaturen geben. Man kann keine innerparteiliche Demokratie predigen und dann entsetzt sein, wenn mitunter die Wahlen anders ausfallen, als man sich das vorgestellt hat.
Mitglieder des Bundesausschusses sprechen von zahlreichen »politischen No-Names« auf der Liste.
Meine Erfahrung ist: Die politischen No-Names sind immer die anderen. Jeder hat das Recht, seine Meinung und seine Kritik zu äußern. Ich möchte das nicht kommentieren.
Sie haben sich Experten für das Europaparlament gewünscht – für Umwelt, Landwirtschaft, Finanzen oder Außenpolitik. Aus den Biografien der gelisteten Kandidaten ist solches Spezialwissen aber nur in wenigen Fällen zu erkennen.
Ich habe meine Wünsche geäußert. Der Souverän trifft die Entscheidung, und das akzeptiere ich. Aber natürlich bin auch ich manchmal betroffen, wenn jemand, den ich für außerordentlich wichtig halte, nicht gewählt wird.
Zentraler Bestandteil des Europawahlprogramms, das in Essen ebenfalls zur Abstimmung steht, ist das Nein zum Lissabon-Vertrag. Vor dem Bundesverfassungsgericht hat gestern die Anhörung zu den Klagen der Linksfraktion im Bundestag und von CSU-Abgeordneten gegen den EU-Vertrag begonnen. Fühlen Sie sich in schlechter Gesellschaft?
Ich gehe davon aus, dass das Grundgesetz auch für konservative Bundestagsabgeordnete Geschäftsgrundlage des Handelns ist. Wir wollen ja die Gültigkeit des Grundgesetzes vor dem Lissabonner Vertrag hinterfragen. Ich kann eine solche Klage nicht zurückziehen, nur weil Gauweiler sie – aus anderen Motiven – ebenfalls führt. Die politischen Unterschiede zwischen dem CSU-Abgeordneten Gauweiler und uns sind hinlänglich bekannt.
Wären Sie froh, wenn der Lissaboner Vertrag auf dem Weg eines Gerichtsentscheids gestoppt würde?
Mir wäre die Abstimmung der Bevölkerung lieber gewesen. Dafür haben wir gekämpft, konnten uns aber nicht durchsetzen. Übrigens haben die Schweizer erst am Wochenende mit ihrer Entscheidung zur weiteren Öffnung des Landes für EU-Bürger die konservative Behauptung, das Volk würde immer negativ und nicht sachkundig abstimmen, ad absurdum geführt. Da die Regierung sich hierzulande anmaßt, alles allein entscheiden zu wollen, ist mir allerdings die Entscheidung des Verfassungsgerichts wichtig.
Die EU-Regierungen scheinen aber entschlossen, »Lissabon« auf jeden Fall in Kraft zu setzen.
Deshalb steckt die EU in einer tiefen Krise. Wir haben die Wirtschafts- und Finanzkrise, aber wir haben auch eine Vertrauenskrise in der EU. Warum scheitern Volksabstimmungen zu europäischen Themen? Weil sich die Europäische Union zunehmend zu einem internen Klub der Machthaber entwickelt. Die Bevölkerung aber hat die Folgen jeder einzelnen Entscheidung zu tragen, die die Regierenden treffen. Wer so handelt, fährt Europa langfristig gegen die Wand.
Das heißt, die Linke will die EU verbessern, nicht abschaffen.
Die Europäische Union, die europäische Integration sind Dinge, die die Linke verteidigt. In der Europäischen Linkspartei wird das immer wieder betont. Wir wollen die EU – aber wir übernehmen nicht alles, was die Regierenden uns vorsetzen. Es gibt eine neoliberale Grundtendenz in Europa, die nach wie vor bestimmend ist. Bei Würdigung dessen, was in Europa geleistet wurde, behalten wir uns das Recht vor, grundlegende Kritik zu äußern.
Kritik ist das eine, konkrete Konzepte, wie die EU verändert werden könnte, sind das andere.
Die europäische Linke hat in dieser Hinsicht eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht. In der gemeinsamen Wahlplattform der Europäischen Linken gibt es Vorschläge zur Bekämpfung der gegenwärtigen Krise, es gibt Vorschläge im Sozialbereich, es gibt solche für den Arbeitsmarkt oder für den Klimaschutz – alles realisierbare Vorhaben. Ein Beispiel ist die Umgestaltung der Europäischen Zentralbank, die auf die Kriterien Beschäftigung, soziale und ökologische Entwicklung ausgerichtet werden soll. Andere Beispiele sind unsere Vorschläge für einen europäischen Mindestlohn und eine Mindestrente.
Das Umsetzen dieser Vorschläge setzt eine starke Linke voraus. In Frankreich haben sich zwei neue Linksparteien gebildet, in Italien hat sich die Rifondazione Comunista gespalten. Ist die Linke in Westeuropa in Auflösung?
Als deutsche Linke haben wir die Pflicht, den Prozess der Umstrukturierung der Linken solidarisch zu begleiten und Unterstützung zu leisten. Dieser Prozess ist nicht einfach. Es findet teilweise eher eine Zersplitterung statt als der Versuch eines gemeinsamen Vorgehens. Die gemeinsame Wahlplattform der Europäischen Linken ist der Weg für eine starke Linke in Europa. Wenn wir erkennbar als gemeinsame Kraft streiten, können wir gewinnen. Sonst werden wir immer mehr linke Parteien und immer weniger Einfluss haben.
Eine am Wochenende vorgelegte Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass über zwei Drittel der Deutschen mehr direkte Mitsprache in Brüssel wollen.
Das ist in unserem Wahlprogramm ein entscheidender Punkt. Wir werden überall deutlich machen: Wer will, dass die Bevölkerung befragt wird, muss die Linke wählen. Eine gut vorbereitete und informierte Bevölkerung wird sehr solide und sachliche Entscheidungen über die Zukunft der Europäischen Union treffen.
Der Vorschlag
Der Bundesausschuss der Partei DIE LINKE hat am 10. Januar 2009 einen Vorschlag für die Kandidaten zur Europawahl beschlossen. Die ersten 14 Plätze:
1. Lothar Bisky, Vorsitzender der LINKEN und der Partei der Europäischen Linken (EL);
2. Sabine Wils (Hamburg), Gewerkschafterin, Mitbegründerin des EL-Gewerkschaftsnetzwerkes;
3. Gabriele Zimmer (Thüringen), Europaabgeordnete, Sprecherin der deutschen Delegation in der Linksfraktion;
4. Thomas Händel (Bayern), Gewerkschafter, Vorstandsmitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung;
5. Cornelia Ernst (Sachsen), Vorsitzende des Landesverbandes;
6. Jürgen Klute (Nordrhein-Westfalen), Sozialpfarrer;
7. Sabine Lösing (Niedersachsen), Sozialwissenschaftlerin;
8. Helmut Scholz (Brandenburg), Bereichsleiter Internationale Politik der LINKEN;
9. Martina Michels (Berlin), eu-ropapolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus;
10. Wilfried Telkämper (Baden-Württemberg), früherer Europaabgeordneter der Grünen, in der internationalen Berufsbildungszusammenarbeit tätig;
11. Sidar Demirdögen (Hessen), Vorsitzende des Bundesverbandes der Migrantinnen in Deutschland e.V.
12. Sascha Wagener (Sachsen), Doktorand an der Universität Potsdam;
13. Teresa Maria Thiel (Berlin), Vermessungstechnikerin;
14. Dominic Heilig (Berlin), Büroleiter eines Bundestagsabgeordneten der LINKEN. (ND)
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