Lebensretter
Ausstellung »Berliner Arbeiterwiderstand«, Stolpersteine, der Rettungsschwimmer Willi Bolien und drei starke Frauen
»Es begann mit einem weißen Strich, auf Pflasterstein gezogen«, erinnert Susanne Riveles. Zum 50. Jahrestag der Deportation von tausend Roma und Sinti aus Köln hat Gunter Demnig mit einer rollbaren Druckmaschine den Weg nachgezeichnet, auf dem 1940 die von deutschen »Herrenmenschen« als »asozial« und »minderwertig« Verdammten in den Tod getrieben worden sind. Von interessierten Bürgern angesprochen, wie lange denn dieses Gedenk-Mal Witterung und Straßenverkehr widerstehen könnte, kam ihm die Idee der Stolpersteine. Inzwischen sind etwa 17 000, die an Sinti und Roma, Juden und Homosexuelle erinnern, in über 430 Orten in Deutschland, den Niederlanden, Polen, Österreich, Tschechien, der Ukraine und Ungarn verlegt. Und 48 nun auch schon für aktive Widerstandskämpfer – dank der Initiative von Töchtern zum Tode verurteilter Antifaschisten.
Es sind ihrer drei; die Berliner Historikerin Bärbel Schindler-Saefkow, Tochter des Schlossers Anton Saefkow, einer der Köpfe der reichsweit agierenden Berliner Widerstandsorganisation, ihre Zunftkollegin Annette Neumann, Tochter des ebenfalls diesem Kreis angehörenden Flugzeugingenieurs Erwin Freyer, sowie die in den USA lebende Soziologin Susanne Riveles, Tochter von Dr. Johannes Kreiselmaier, der als Arzt den Widerständlern wertvolle Verbindungen und Informationen verschafft hatte. Von Demnigs Aktion beeindruckt, fragten sich die drei Frauen: Warum sollten Stolpersteine nicht auch an Opfer des Widerstandes erinnern? An jene, denen noch keine Ehrung zuteil wurde, vor allem Arbeiter. Die Idee war in der Welt und fand viele Unterstützer, insbesondere im VVN.
In der vergangenen Woche wurden zehn der zehn mal zehn Zentimeter messenden Messingplatten mit den Namen und Lebensdaten von Ermordeten im Fußweg vor deren ehemaligen Wohnstätten eingelassen. Ein neuer Stolperstein ist Willi Bolien gewidmet. Der Sohn ist anwesend. Auch, als die drei Frauen ihre Initiative in der Berliner Humboldt-Universität vorstellen, im Rahmen der Eröffnung ihrer Ausstellung »Berliner Arbeiterwiderstand 1942-1945«. Erinnerungen an den Vater hat Edwin Bolien keine. Er weilte gerade zwei Lenze auf Erden, als sein Vater verhaftet wurde. »Alles, was ich über sein politisches Wirken weiß, verdanke ich den Historikerinnen«, sagt der Sohn. Und meint damit nicht nur Bärbel Schindler-Saefkow und Annette Neumann, sondern auch die Publizistin Ursel Hochmuth, Stieftochter des ebenfalls 1944 hingerichteten Franz Jacob. Seine Mutter, so Edwin Bolien, habe ihm nicht viel vom Vater erzählt, war nach dessen Tod lange traumatisiert, »trat erst wieder zu uns ins Leben, als ihr erster Enkel geboren wurde. Das war 1968.« Und dann erzählt der Sohn, was er spät erfuhr:
Willi Bolien, geboren am 8. März 1907 im »Roten Wedding«, gelernter Klempner, war ein begeisterter und erfolgreicher Kraulschwimmer. Er hat sogar Wettkämpfe in der Sowjetunion bestritten. Bürgerliche Vereine wollten ihn abwerben, doch er blieb dem Arbeitersport treu. Sein Talent hat ihm geholfen, die große Arbeitslosigkeit in der Weltwirtschaftskrise 1929/32 zeitweilig zu überbrücken. Den Sommer über war er Rettungsschwimmer im Seebad Plötzensee – gegenüber der berüchtigten Hinrichtungsstätte, in der viele Kampfgefährten sterben sollten. »Es ist überliefert, dass er mindestens einer Person das Leben gerettet hat – vor dem Ertrinken«, sagt der Sohn, nicht ohne Stolz. Nach sechs Jahren Arbeitslosigkeit bekam Willi Bolien eine Anstellung in der Hans-Windhoff-Apparate- und Maschinenfabrik, einem Zulieferer für die Flugzeugindustrie. In jenem Jahr heiratete er Hildegard Plantikow. »Es gibt kein Familienfoto von der Hochzeit«, sagt der in Westberlin lebende Nachfahre und erklärt: »Es gab Differenzen mit den Eltern meiner Mutter. Der Großvater mütterlicherseits fragte meinen Vater: ›Kannst du überhaupt eine Familie ernähren?‹«
1943 begann Willi Bolien in seinem Betrieb eine Widerstandszelle aufzubauen. Durch einen Kontaktmann erhielt er Flugschriften, die er weiterleitete. Er sammelte Geld zur Unterstützung von Illegalen und knüpfte Kontakte zu sowjetischen Zwangsarbeitern. Als der von Deutschland entfesselte Krieg auf Deutschland zurückschlug, es Bomben auch auf die Reichshauptstadt hagelte, schickte Willi Bolien Frau und Sohn nach Herzberg an der Schwarzen Elster. Besuche bei den Seinen nutzte er, um Flugblätter auch im südlichen Brandenburg zu verteilen und Gespräche mit potenziellen Mitstreitern zu führen. Als die Familie eines Freundes aus dem Arbeitersport, Karl Rudolf, Schachmeister, ausgebombt wurde, überließ Bolien diesem seine Wohnung und zog zu seinen Eltern in die Maxstraße. Dort wurde er am 13. Oktober 1944 verhaftet, kam in die Gestapozentrale am Alexanderplatz, wo man ihn »verschärftem Verhör« unterzog. »Laut Gestapo hat mein Vater Selbstmord begangen, sei aus dem Fenster gesprungen« sagt Edwin Bolien und blickt bittend zu Bärbel Schindler-Saefkow. Sie führt den in eine emotionale Sackgasse geratenen Bericht fort: »Willi Bolien starb am 14. Oktober 1944. Er wusste, was er tat. Er hat sich geopfert. Er ist schwer gefoltert worden. Durch seinen Entschluss hat er verhindert, dass es zu einem Prozess kam. Er rettete nachweislich Dreien aus seiner Gruppe das Leben.« Der Rettungsschwimmer als mehrfacher Lebensretter. Das sollte ihm nach dem Krieg gedankt werden. Mitstreiter brachten am Haus in der Maxstraße 12 eine Gedenktafel an. »Sie wurde in den 50er Jahren von Neonazis erst beschmiert und dann durch Hammerschläge zerstört«, fährt Edwin Bolien fort. »Dann wurde eine gusseiserne Tafel angebracht, doch auch die wurde Ziel von Anschlägen. Deshalb ließ meine Mutter sie entfernen.« Edwin Bolien ist dankbar, dass die drei Frauen, Bärbel Schindler-Saefkow, Annette Neumann und Susanne Riveles, sich auch seines Vaters angenommen, ihn in die Aktion »50 Stolpersteine für den Arbeiterwiderstand« einbezogen haben. Und dass sie nach ihm, dem Sohn, »gefahndet« haben.
Die Suche nach Angehörigen ist sehr schwer, aber lohnt. Zur Verlegung eines Stolpersteins für den Arbeiterfotografen Willy Jungmittag morgen, am Mittwoch, dem 1. Juli, kommen Angehörige aus Großbritannien und Frankreich nach Berlin; erstmals werden sie wieder in ihrer Geburtsstadt sein und erfahren, wer ihr Vater war, was er gewagt hat. Stolz und glücklich erzählt Bärbel Schindler-Saefkow, justement auch endlich Kontakt zu zwei Kindern von Gerda Kafka hergestellt zu haben, »nach denen ich schon so lange gesucht habe und die erst jetzt vom Stolperstein für ihre Mutter erfuhren«. Die Verkäuferin Gerda Kafka starb kurz vor der Befreiung, im April 1945, als sie Illegalen Lebensmittel überbringen wollte.
Ein Viertel der Mitglieder des Widerstandskreises um Saefkow, Jacob und Bästlein waren Frauen, weiß Annette Neumann. »Das ist ein sehr hoher Anteil im Vergleich zu anderen Widerstandsgruppierungen.« Vielleicht ist dies eine zusätzliche Motivation für das Engagement der drei starken Frauen, Töchter von Helden. Gern möchten sie weitere Stolpersteine für den Arbeiterwiderstand setzen – allein, es mangelt am Monetären.
Ausstellung im Foyer der »Kommode« am Bebelplatz in Berlin bis 23. Juli, Eintritt frei; Katalog.
1. Juli »Fünf Stolpersteine in Pankow«, PiB/La Bohme, Winsstraße 12, Prenzlauer Berg; 8. und 15. Juli Jugendliche und Frauen im Widerstand, »Kommode«; 21. Juli »Arbeiter gegen Hitler«, Humboldt-Universität (jeweils 19 Uhr).
Spenden: Stichwort »Stolpersteine«, an VVN-BdA Berlin, Postbank Berlin, BLZ: 100 110, Ko: 315 904 105
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