Schuld ist »Mister Marathon«
Erstmalige Geher-Entscheidungen außerhalb eines Stadions sind voller Erfolg
Die Geher haben die Stadt erobert. Und wie: Jeweils rund 100 000 Zuschauer lockten sie entlang des zwei Kilometer langen Rundkurses auf die Straße Unter den Linden mit Start und Ziel am Brandenburger Tor. Dicht an dicht standen sie am Sonnabend und Sonntag bis zur Wende nach einem Kilometer auf Höhe der Staatsbibliothek und wieder zurück zum Pariser Platz.
»Eine unglaubliche Kulisse. Eine echte Werbung für das Gehen, das ansonsten ja eher ein stiefmütterliches Dasein fristet«, meinte später der Lokalmatador André Höhne. Allerdings kam der 31-Jährige auf der 20-km-Distanz mit dem höllischen Tempo an der Spitze nicht klar, quälte sich bis zur Erschöpfung und endete auf dem auch für ihn enttäuschenden 14. Rang, 3:18 Minuten hinter dem neuen Weltmeister, dem Olympiasieger Waleri Bortschin (Russland).
Es war allemal eine rundum gelungene WM-Premiere. Denn zum ersten Mal in der WM-Geschichte werden alle drei Entscheidungen im Gehen (20 km Männer und Frauen, 50 km Männer) sowie die beiden Marathonrennen am nächsten Wochenende ausschließlich in der Innenstadt ausgetragen und nicht – wie bislang üblich – im WM-Stadion gestartet, wo sie dann auch endeten. »Die Leichtathletik kommt zu den Menschen, das ist doch großartig«, meinte Lamine Diack (Senegal), Präsident des Weltverbandes IAAF.
Diese Feststellung ist doppelt bemerkenswert. Denn es war gerade die IAAF, die sich lange Zeit gegen diese WM-Neuerung in Berlin sperrte. Dass es doch so kam, daran ist »Mister Marathon« Schuld: der heute 70-jährige Horst Milde, Erfinder und bis 2004 über 30 Jahre lang Cheforganisator des international renommierten Berlin-Marathons.
Milde erinnert sich dabei besonders an den 9. November 2004, als die IAAF-Evaluierungskommission in Berlin weilte und zu ihrer Inspektion auch weitere Experten heranzog. Zu ihnen gehörte Horst Milde. »Alle – auch die Vertreter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes – schauten mich völlig entgeistert an, als ich meine Vision vom Marathon und Gehen ausnahmslos außerhalb des Stadions vorschlug«, schildert Milde. »Das wird schwer durchzusetzen sein«, gab man mir gleich zu verstehen.
Die Widerstände in der IAAF waren auch lange Zeit groß. So beharrten die Japaner auf dem »alten Zopf«: »Marathon und Gehen haben in einem Stadion zu enden«, wandten sie ein. Doch am Ende fand die Neuerung Gehör. Und nun gibt es sogar einen Nachahmer: London, Ausrichter der Olympischen Sommerspiele 2012, plant den Marathonlauf durch die City mit Ziel an der Tower Bridge.
Horst Mildes SCC Running übrigens legt mit rund 700 Helfern mit Hand an bei der Organisation der unüblichen WM-Entscheidungen, über die der 20-km-Gehersieger Waleri Bortschin sagt: »Ich fand es toll. Aber wenn man gewinnt, ist es einem sowieso egal, ob das so oder so war.«
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