Gewaltstudie und Computerspiel
Erste Gastspiele beim 21. Internationalen Festival »Tanz im August«
Mit einem Gastspiel aus Burkina Faso startete im Haus der Berliner Festspiele die 21. Ausgabe von »Tanz im August« ihren 17-Tage-Marathon. Gleich der Auftakt mit den drei Frauen und vier Männern der Compagnie Salia NÏ Seydou war ein bewegendes Erlebnis.
Lastende Stille liegt über der Szene, als in rotem Langkleid eine Frau singt – leise, traurig, anklagend. Im Zeitlupenkampf rempeln sich dazu zwei Männer, hebelt einer den anderen aus. Als die Frau zu einem Liegenden kommt, klingen ihre Worte wie ein Aufschrei, wie die Abrechnung mit einem Toten. Unter diesem Klang krümmt sich sein Körper, robbt er ihr nach. Musik, live erzeugt am Bühnenrand, erweckt Tänzer aus der Starre. Einer tritt seinen Partner aus der Hocke zu Boden, nervös schütteln sich Leiber, wenden sich blitzschnell, Rhythmus treibt sie, lässt sie vor einem Holzquadrat zum Klumpen gerinnen. Stierkampfposen nehmen sie ein, rangeln um einen Platz an der Wand. Ein Mann in Weiß sondert sich ab, greift lässig zur Sonnenbrille.
Als sich der Saxofonist unter die Tänzer begibt, behindern sie seinen Weg. Ehe die Rüpelei auch untereinander ärger werden kann, beginnt die Rote wieder ihren Gesang, fragt ein Musiker in seinem Chanson nach dem Warum. »Ayayay«, klagt er, die Rote blickt auf den Tänzerpulk, dessen Augen sich auf uns richten. Nur der Weiße hockt reglos an blutroter Wand.
Seit 1997 arbeiten Salia Sanou und Seydou Boro, Modellathleten wie die Sprinterasse der Leichtathletik-WM, als Tänzerchoreografen, haben zuvor zehn Jahre bei der Französin Mathilde Monnier in Montpellier gelernt und mit der eigenen Compagnie bereits über 40 Länder bereist. Die Eröffnung ihres choreografischen Zentrums 2006 in Ouagadougou war von bewaffneten Unruhen überschattet.
Das Stück »Poussières de Sang« untersucht nun die Hintergründe von Gewalt. Eine Lösung findet das Duo freilich nicht, wohl aber bestechend klare Bilder, in denen sich afrikanischer Tanz mit zeitgenössischen Elementen zu einer originären, bodenständigen Formensprache anreichert. Dem Tanz addieren sich Musik auf traditionellen wie europäischen Instrumenten und Gesang nach eigenen Texten zum sensiblen, filigranen Gesamtkunstwerk, das auf spektakulären Schauwert verzichtet. Modernes Afrika vom Feinsten.
Ernüchternd der Berliner Beitrag von Alice Chauchat im Podewil. Fünf Akteure sitzen auf dem Parkett und tauschen absurd sich verkettende Sätze über den Körper aus. Ihr Tanz mit Hüpfern und Balancen entbehrt jeder Sinnfälligkeit und Originalität, findet keinerlei Miteinander. Isabelle Schads vorangehendes Kurzsolo zu italienischem Opernbelcanto zeigte jene Bewegungsqualität, die man in den endlosen »Collective Sensations« so vermisste.
Unter unglücklichem Stern stand »Is You Me«: Aus familiären Gründen musste Louise Lecavalier ihrem Partner Benoît Lachambre die Bühne in der Akademie der Künste allein überlassen. Wie der Kanadier das Duett zum Solo umbaute, blieb spannend. In einem weißen Kabinett mit vorgesetzter Schräge tummelt er sich ruckhaft wie eine Gliederpuppe, zeigt unter Kapuze nie Gesicht, wird Teil einer Inszenierung aus elektronischem Klang und projizierten Ornamenten oder gegenständlichen Landschaften. Diese rastern oder überlagern ihn – und wischen ihn nach 60 Minuten wie eine computeranimierte Figur mit dunkler Farbe fort.
Bis 30.8., Eintrittskarten unter: 25 90 04 27 oder 24 74 97 77, Infos unter www.tanzimaugust.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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