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Frank Hammers Schläge auf kalten Stahl
Scheidender Landtagsabgeordneter der Linkspartei schrieb ein Buch mit »Geschichten aus der Eisenzeit«
Das Eisen soll man bekanntlich schmieden, so lange es heiß ist. Insofern hat sich der sozialistische Landtagsabgeordnete und Dichter Frank Hammer aus Frankfurt (Oder) etwas sehr Schweres vorgenommen: In seinem neuen Buch »Geschichten aus der Eisenzeit« schlägt er wuchtig auf lange erkaltetem Stahl herum. »In jener Zeit…« beginnen alle diese Kurzgeschichten, und ein neues DDR-Rückblendebuch liegt mit ihnen vor dem geneigten Leser. Ein Unternehmen immerhin, das keineswegs so einsam im Weltall herumschwirrt wie die Einbandgestaltung suggeriert: Die Auseinandersetzungen um die Bewertung der DDR haben auch in Brandenburg inzwischen den Charakter eines Kulturkampfes angenommen.
Selbst aus gut-sozialistischem Elternhaus stammend, lässt der Autor Streiflichter von seiner Kindheit bis zur Gegenwart aufblitzen. Sie zeigen seinen ungradlinigen Weg über das Studium der Kulturwissenschaft, die SED-Mitgliedschaft, die Arbeit als unangepasster Literat bis zum Nachwende-Sozialarbeiter, der sich den kritischen Blick bewahrt hat. Hammer ist ein Mann, der ein wenig mit dem Ideal des »schreibenden Arbeiters« kokettiert und sich am Sänger und Baggerfahrer Gerhard Gundermann orientiert. Diese Geschichte ist die ergreifendste des Buches: Nach langer Zeit ruft Hammer bei seinem Freund Gundermann an, sie reden sehr lange an diesem Freitagabend. Und am Sonnabendmorgen meldet das Radio den Tod des Liedermachers.
Hammer beherrscht sein Fach, das er in der DDR gelernt hat. Leider ist sein Buch über weite Strecken von den Klischees verklebt, welche den heutigen »genehmigten« Rückblick auf die DDR so schwer erträglich machen. Da ist wieder die unsinnige Annahme, die DDR-Bürger hätten sich in jeder Beziehung an die Grenzen ihres kleinen Heimatlandes gehalten. Auf dem Deckel von Hammers Buch prangt zur Illustration ein Globus aus einem »VEB Weltbild«, der nur ein einziges Land zeigt – und zwar die DDR – die nahezu vom Nordpol bis zum Südpol reicht. Und das übrige ist auch wieder versammelt: Ja, das »Tal der Ahnungslosen«. Ja, das Trampen Richtung Budapest. Ja, Oma holt Jeans aus dem Westen. Ja, graues Land. Ja – Bückware.
Über viele Passagen rechnet Hammer noch einmal auf recht konventionelle Art und Weise mit der DDR ab. Der Autor hat sich einst der Staatssicherheit verpflichtet, daran trägt er offenbar sehr schwer. Warum da die Entdeckung, dass auch er bespitzelt worden ist, so »schockierend« für ihn gewesen sein soll, ist nicht so leicht zu verstehen. Jedenfalls induziert dies bei ihm die Lust, sich das Hemd aufzureißen.
Man könnte aber auch freisinniger auftreten. Denn – beispielsweise – Hammer selbst war Student des Leipziger Literaturinstitutes, und er soll doch einmal sagen, welcher junge Poet heute auch nur annähernd eine solche Förderung erfährt. Das nimmt der Repression durch die Stasi, nachdem er den Kontakt zu ihr abgebrochen hat, nichts an Schärfe. Das macht die Tragik, aber auch die Lebendigkeit von Hammers Leben aus.
Bedenkenswert Hammers meisterlicher Bericht vom Schweißer in der Wismarer Werft, der in der DDR auch im Alter von 70 Jahren noch entscheiden konnte, dass er weiter Schiffe baut. Wie nimmt sich das vor dem Hintergrund des Schicksals der Ostsee-Werften nach 1990 aus?
Das Buch bringt letztlich und erfreulicherweise diese spezifische DDR-Widersprüchlichkeit auf den Punkt und hebt sich bei genauerem Hinsehen angenehm ab von den heute üblichen, genormten Rückblicksbüchern: Wenn Hammer zum Beispiel schreibt, dass zwar viele Häuser grau waren, die Datschen aber bunt. Oder: »Ich war für die einen der Staatsfeind und der Rädelsführer und für die anderen der talentierte Autor und vor allem der Reformer. Das Wunderbare war: Sie kamen alle aus dem gleichen Staatsapparat«. Sein Buch macht es sichtbar: Dass es in der DDR Repression gab wie auch Förderung. Poetensprechstunde, -werkstätten und Schweriner Poetentage auf der einen, Druck-, Schreib- und Singverbote auf der anderen Seite. Ein offenes Festival des politischen Liedes wie auch bornierte und brutale Einschüchterung. Gerade, was die Kunst betraf, gab es Gedeih und Verderben zugleich. Nur so lässt sich ja auch erklären, weshalb so viele spätere DDR-Dissidenten lange Jahre glühende Verteidiger dieses Staates gewesen sind.
Einen Zipfel vom Mantel der Geschichte hält Hammer an der Stelle in den Händen, als bei ihm vom Palast der Republik die Rede ist. Denn als bewachender Soldat hat er das Skelett des Hauses beim Aufbau in Augenschein nehmen können und nach der Wende sah er den Abriss. Da ist dann das junge wie auch das alte Eisen, das dem Buch den Titel gibt.
Frank Hammer: »Geschichten aus der Eisenzeit«, Publishers Werbeagentur Medien und Verlag GmbH Frankfurt (Oder), 221 Seiten, 9,90 Euro
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