Provozierende Maskentänze
Kunsthaus Nordhausen: »Bildende Kunst in der DDR«
Da sitzt einer allein in einem Boot mitten in einem dunklen Gewässer. Starr sitzt er da und schaut ratlos den Betrachter an (»Der Kahnfahrer«, 1973). Eigentlich sitzt der Mann gar nicht allein in seinem Kahn, sondern ihm gegenüber sitzt sein Sohn. Die Verantwortung, sich und das Kind durchs Wasser zu rudern, erhöht aber eher noch die Einsamkeit. Das Rudern scheint vergeblich zu sein. Das Boot sitzt fest. Der Mann sitzt fest. Die beiden sitzen fest.
Die Leser haben wohl längst bemerkt, dass es sich hier um ein Bild von Wolfgang Mattheuer handelt. Ein anderes Bild, eine Lithografie mit dem Titel »Was nun?« von 1980 – in der Ausstellung an hervorgehobener Stelle gehängt – variiert, oder besser, es erweitert diese Thematik. Vereinzelte Menschen befinden sich in unterschiedlicher Position auf einem großen Wal mitten im Meer. Der Wal ist ein Insel, die nicht verlassen werden kann. Ein bisschen erinnert das an den biblischen Jonas im Walfisch.
Alle Bilder von Wolfgang Mattheuer (Leihgaben der Galerie Schwind, Frankfurt am Main/Leipzig) sind symbolisch hoch aufgeladen, ob sie nun eine kopflose »Verpackte Gesellschaft« (1979) oder einen Ikarus über dem Schrebergarten des Nachbarn mit seinen sinnlosen Flugversuchen (1983) darstellen. Wolfgang Mattheuers Bilder sind Teil einer sehenswerten Ausstellung in Nordhausen. Sie hat den Titel »Bildende Kunst in der DDR« und versteht sich als Beitrag zu »20 Jahre friedliche Revolution«. Das Kunsthaus Meyenburg, diese stilvoll-dezente Villa über der Stadt am Südharz, bildet einen hervorragenden Rahmen für die Schau, denn sie hebt kontrastreich den Ernst oder die bittere Ironie, etwa bei späten Bildern Willi Sittes oder auch bei einigen Gemälden Gudrun Brünes aus dem Jahr 2009, hervor.
Die Bilder sind natürlich sehr unterschiedlich, auch von unterschiedlicher Qualität, doch die meisten verbindet inhaltlich das Maskenhafte der dargestellten Figuren. Gudrun Brüne variiert (und strapaziert bisweilen) dieses Thema der Masken, der kalten Oberflächen und zerbrochenen Puppen. Männer vom »Vorstand« (2008) sind maskiert, und selbst die farbenprächtigen Blumenarrangements erscheinen künstlich, surreal. Unverhüllt, und Dadurch ebenfalls maskenhaft, gebärdet sich das jubelnde Volk über der geschleiften Mauer mit dem Ruf »Wir sind das Volk« (2009). Das hat etwas von wütender Melancholie. Hier scheint sich ein wenig »Die Wut der Bilder« ihres Partners Bernhard Heisig übertragen zu haben. Der ist mit Porträt-Grafiken und Historien-Illustrationen vertreten.
Willi Sittes großformatige Fleischklopse sprengen den Rahmen. Sie »gefallen« nicht, wollen wohl auch nicht gefallen, sondern provozieren ebenso wie die Nach-Wende-Bilder-Titel »Herr Mittelmaß wittert Morgenluft« und »Herr Mittelmaß bewundert die Avantgarde Weltkunst« (beide 1990). Werner Tübke dagegen ist mit einigen kleinformatigen Lithos und Aquarellen der letzten Jahrzehnte hier gut aufhoben. Die Welt, besonders die südliche zwischen Florenz und Mallorca, präsentiert sich heiter-stimmungsvoll. Aber Vorsicht! Sie ist immer auch hintergründig und Teil des großen Maskentanzes und Welttheaters.
»Bildende Kunst in der DDR – Gudrun Brüne/Bernhard Heisig/Wolfgang Mattheuer/Werner Tübke und Willi Sitte«. Kunsthaus Meyenburg, Alexander-Puschkin-Straße 31, Nordhausen. Bis 13. September, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr.
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