• Politik
  • Generaldebatte der 64. Vollversammlung der Vereinten Nationen

Premieren am East River

Obama und Gaddafi mit Hauptrollen beim Redemarathon in der UNO

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 5 Min.
Es soll die UN-Woche des Barack Obama werden. Aus der Verachtung seines Vorgängers für die Vereinten Nationen ist eine Wiederannäherung geworden, die sich in diesen Tagen zur Omnipräsenz des Neuen aus dem Weißen Haus am East River in New York auswächst.

Gestern der Klima-Gipfel und ein Dreiertreffen zum Nahost-Friedensprozess, heute Obamas Premiere in der Vollversammlung, morgen sein Vorsitz bei der Sondersitzung des Weltsicherheitsrats zur atomaren Abrüstung, womit erstmals ein USA-Präsident ein Treffen des wichtigsten UN-Gremiums leitet, dazwischen Gespräche mit den Amtskollegen aus China, Russland, Japan ... UN-Botschafterin Susan Rice nannte Obamas Besuch schon mal »historisch«. Die USA hätten ihr Verhältnis zu den Vereinten Nationen dramatisch verändert: »Statt die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen und rauszugehen, bringen wir uns konstruktiv ein.« Vor wenigen Tagen hat Washington bereits seinen Sitz im UN-Menschenrechtsrat eingenommen, der von der Bush-Regierung boykottiert worden war.

Im Regelfall werden die Staats- und Regierungschefs oder Außenminister der 192 Mitgliedstaaten zur Generaldebatte erwartet. Da sich alle Augen ohnehin auf Obama richten, fällt gar nicht weiter auf, dass Deutschland wegen der Bundestagswahl nur von UN-Botschafter Thomas Matussek und Außenstaatssekretär Reinhard Silberberg repräsentiert wird. Matussek soll mit den Vertretern von Dschibuti, Dänemark und den Kapverden am Montag den fünftägigen Redemarathon abschließen. Dem strengen Protokoll entsprechend dürfen Beamte und Diplomaten erst sprechen, wenn alle Chefs ihren Auftritt hatten, egal wie groß ihr Land ist.

Bundeskanzlerin Angela Merkel plant zumindest einen Abstecher zum G 20-Gipfel in Pittsburgh, wo es am Donnerstag und Freitag um die Reform des internationalen Finanzwesens geht. Ein Thema, das auch die Vollversammlung beschäftigen wird. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat die Mitglieder der Vereinten Nationen aufgerufen, sich auf Maßnahmen zur Beendung der Wirtschaftskrise zu einigen. Sie treffe vor allem auch die »arbeitenden Armen«, die vor dem Verlust ihrer sozialen Verbesserungen der letzten Dekade stünden. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Sachfragen nicht durch die Selbstpräsentation von Politikern überschattet wird.

Einer könnte dabei Obama ein Stück der Show stehlen: der libysche Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi. Auch er hält heute Nachmittag seine erste Rede vor der UN-Vollversammlung, unmittelbar nach dem USA-Präsidenten, und er wird im Sicherheitsrat dabei sein, wo Tripolis nichtständiges Mitglied ist. Er wolle mit radikalen Vorschlägen die UNO »in ihren Grundfesten erschüttern«, vermeldete die staatliche libysche Nachrichtenagentur JANA gestern. So solle den kleinen Staaten künftig so viel Macht eingeräumt werden wie den Großmächten, die zudem im Weltsicherheitsrat ihr Vetoprivileg verlieren müssten.

Einem anderen Staatschef würden einige am liebsten das Rederecht nehmen. Israel bemühte sich in den vergangenen Tagen nachdrücklich um einen Boykott des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad und wandte sich mit der Bitte an mehrere Staaten, dass ihre höchsten Vertreter den Tagungssaal während seiner Rede am Donnerstag zumindest verlassen mögen, so wie der israelische Premier Benjamin Netanjahu. Ahmadinedschad hatte mit seiner Äußerung, der Holocaust sei »ein Märchen«, jüngst für große Empörung nicht nur in Israel gesorgt. Netanjahu, der einen von den USA, der EU und den Palästinensern geforderten Baustopp für jüdische Siedlungen in den besetzten Gebieten nach dem Friedensplan von 2003 ablehnt, will mit seinem Auftritt die Welt davon überzeugen, dass ein Stopp des iranischen Atomprogramms höhere Priorität habe als Nahost-Friedensverhandlungen.

Derweil werden die fünf UN-Vetomächte und Deutschland am Rande der Vollversammlung zu einem informellen Gespräch zusammenkommen, um das weitere Vorgehen im Nuklearstreit mit Teheran abzustimmen. Der wird auch gegenwärtig sein, wenn es am Donnerstag im Weltsicherheitsrat um Obamas Vision einer atomwaffenfreien Welt geht. Parallel dazu treffen sich für zwei Tage die Außenminister von rund 100 Staaten, um eine Ratifizierung des Atomwaffen-Teststoppvertrags voranzutreiben. Neun Länder mit Nukleartechnologie haben das Abkommen von 1990 immer noch nicht ratifiziert und blockieren damit weiter sein Inkrafttreten – darunter auch die USA.


Zur Person Ali Treki

Mit der Forderung nach einer weit reichenden Reform der UNO hat der libysche Afrikaminister Ali Abdussalam Treki die 64. Vollversammlung der Weltorganisation eröffnet. »Die Vereinten Nationen müssen wieder internationale Legitimität gewinnen, damit ihre Stimme gehört und ihre Resolutionen befolgt werden«, sagte der Spitzendiplomat aus dem einstigen »Schurkenstaat« vor Vertretern der 192 Mitgliedsländer. Er war auf Initiative der afrikanischen Staaten im Juni per Akklamation für ein Jahr zum Präsidenten der Vollversammlung gewählt worden. Die Afrikaner hatten turnusmäßig das Vorschlagsrecht.

Treki besitzt fraglos die notwendigen Erfahrungen für diesen Posten – er diente drei Mal als Ständiger Vertreter seines Landes bei den Vereinten Nationen, hatte dabei zeitweilig auch den Vorsitz im Vierten Hauptausschuss (Entkolonialisierung) der Vollversammlung inne, repräsentierte Libyen in der UN-Menschenrechtskommission und war 1982 Vizepräsident der 37. Tagung der Vollversammlung. Der 71-Jährige, im libyschen Misrata geboren, ist studierter Historiker mit einem Hochschulabschluss der Universität Garyounes von Benghazi und promovierte in Politischer Geschichte an der Universität Toulouse in Frankreich.

Der Diplomat, der fließend Englisch und Französisch spricht, diente dem »Bruder Revolutionsführer« in vielen Teilen der Welt. Er war unter anderem Außenminister, Botschafter in Paris und bei der Liga der Arabischen Staaten in Kairo. Der vierfache Vater spielte auch eine wichtige Rolle bei der Schaffung der Afrikanischen Union und machte sich als Konfliktschlichter nicht nur in Afrika durchaus einen Namen – ob in Tschad sowie zwischen Äthiopien und Eritrea oder in Bosnien-Herzegowina, Zypern und auf den Philippinen. Mit Blick auf die aktuellen politischen Krisen plädierte er für Dialog und gegenseitiges Verständnis. »Embargos und Blockaden sind fruchtlos: Sie verschärfen nur Gegensätze und Widerstand.« Treki spricht aus eigener Erfahrung.
Olaf Standke

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