Referendum mit offenem Ausgang
Eine Woche vor zweiter Abstimmung über »Lissabon« sind viele Iren noch unentschlossen
Irland ist der einzige der 27 EU-Staaten, in dem die Bevölkerung über den Vertrag abstimmen kann und muss. Das schreibt die irische Verfassung vor. Die Entscheidung in Irland gilt als richtungweisend für die Präsidenten Polens und Tschechiens, die ihre Unterschriften unter den Vertrag vom Ausgang des Referendums auf der grünen Insel abhängig machen.
Wie die Iren entscheiden werden, ist allerdings nach wie vor offen. Zwar liegen laut einer Umfrage der »Irish Times« die Befürworter mit 46 Prozent weit vor den Gegnern mit 29 Prozent. Ein Viertel der Abstimmungsberechtigten ist jedoch noch unentschlossen. Und gegenüber Prognosen vom Mai dieses Jahres ist das Ja-Lager stark geschrumpft (minus acht Prozentpunkte). Bei der ersten Abstimmung im Juni 2008 hatten sich die Gegner des Lissaboner Vertrags mit 54 Prozent gegen die Befürworter durchgesetzt. Auch damals hatte in Umfragen zunächst das Ja-Lager die Nase vorn.
Parteipolitisch hat sich gegenüber dem letzten Jahr nichts geändert. Die Regierungskoalition aus christlich-konservativer Fianna Fáil, Liberalen und Grünen mobilisiert ebenso wie die oppositionelle Labour Party und die bürgerliche Fine Geal mit eigenen Kampagnen für ein »Yes to Lisbon«. Die irischen Grünen setzten ganz auf europäischen Klimaschutz: Man könne den Klimawandel nicht allein bekämpfen. Die Sozialdemokraten bekommen Unterstützung vom schwergewichtigen europäischen Gewerkschaftsdachverband ETUC, dem auch der DGB angehört. John Monks, Generalsekretär der European Trade Union Confederation, bezeichnete das Vertragswerk als »guten Deal« für die arbeitende Bevölkerung und hofft auf einen zustimmenden Ausgang des Referendums.
Einzig die irische Linkspartei Sinn Féin stellt sich quer und fordert, das klare Votum der ersten Abstimmung zu akzeptieren. Gerry Adams, Präsident von Sinn Féin, wies darauf hin, dass in der kommenden Woche »exakt der gleiche Vertrag mit genau denselben Konsequenzen für Irland und Europa« zur Abstimmung stehe. Seine Partei sehe insbesondere die Rechte der Arbeiterklasse gefährdet und warnt vor der Aufgabe der irischen Neutralität, weil der Vertrag das Land in ein gemeinsames Verteidigungsbündnis zwinge.
Ähnliche Kritik übt auch die Socialist Party, die bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Juni einen Achtungserfolg erzielen und erstmals einen Sitz gewinnen konnte. Durch »Lisbon II« drohe weitere Privatisierung im Gesundheits- und Bildungssektor, warnt der frischgebackene EU-Abgeordnete Joe Higgins aus Dublin.
Das globalisierungskritische Netzwerk Attac bezeichnete die neuerliche Abstimmung als »Missbrauch der Demokratie«. Christian Felber von Attac-Österreich äußerte, die Menschen »sollen so lange abstimmen, bis der Regierung das Ergebnis gefällt«. Die Änderungen und Zugeständnisse an die irische Bevölkerung seien nicht rechtsverbindlich, sonst müsste die Ratifizierung ebenso in den anderen EU-Staaten wiederholt werden.
In Deutschland hat Bundespräsident Horst Köhler für heute angekündigt die Ratifikationsurkunde für den Lissabon-Vertrag bei der italienischen Regierung als Hüterin der EU-Verträge zu hinterlegen. Der Vertrag gilt damit in Deutschland als ratifiziert. Im Sommer hatten Bundestag und Bundesrat die Änderungen an den Begleitgesetzen im Schnellverfahren verabschiedet. Dies war nötig, nachdem das Bundesverfassungsgericht mehr Mitspracherechte Deutschlands in EU-Fragen verlangt hatte.
Das Stichwort - Vertrag von Lissabon
Mit dem Vertrag von Lissabon hat die EU im Dezember 2007 neue Regeln für die Zusammenarbeit der 27 Mitgliedstaaten vereinbart. So fasst der Ministerrat ab 2014 seine Beschlüsse mit einer sogenannten doppelten Mehrheit, die 55 Prozent der Mitglieder und 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmacht. Erstmals soll es einen Präsidenten des Rats geben, der zweieinhalb Jahre amtiert. Anders als ursprünglich vorgesehen wird die Kommission nicht verkleinert. Jedes Land stellt weiterhin einen Kommissar. Das ist ein Zugeständnis an Irland. Es wird ein »Hoher Vertreter« als eine Art EU-Außenminister bestellt.
Der Vertrag soll 2010 in Kraft treten, muss aber von allen Mitgliedern ratifiziert werden. Deutschland ist das 24. Land, in dem dies mit der Unterzeichnung der Begleitgesetze durch den Bundespräsidenten und der Hinterlegung der Ratifikationsurkunde abgeschlossen ist. (ND)
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