Im Verhängnis

Theater Potsdam: »Staats-Sicherheiten«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist von einem Theaterabend zu berichten, der still macht. Theater? Leicht spielerisch ummantelter Dokumentarismus. Die Personen sitzen auf Hockern an der Bühnenwand, es geht etwas an die Wand Gedrücktes von ihnen aus. Später entsteht mit wenigen Handgriffen eine Verhörsituation, eine Zelle mit Pritsche und knallender Tür. »Staats-Sicherheiten« heißt der Abend am Hans-Otto-Theater Potsdam, Konzept: Lea Rosh und Renate Kreibich-Fischer, Regie: Clemens Bechtel. Schicksals-Erzählungen, begleitet von Maultrommel und Cello (Musik: Stephan Krawczyk).

Wer im Publikum mag diesen Abend als Bestätigung der eigenen bitteren DDR-Sicht empfinden? Wer dagegen, obwohl er im gleichen Land lebte, begegnet Erzählungen aus einer anderen Welt? Vierzehn einstige Stasi-Häftlinge aus Hohenschönhausen, aus Hoheneck, Bautzen und anderswo berichten von ihren Verhaftungen, den Verhören, dem Prozess, dem Urteil, den Folgen. Dicht, präzis, fast mit Untertreibungswillen, als solle der Schauder einer Distanz versucht werden, die es doch nie wirklich geben kann.

Da verrann Leben unter staatlicher Willkür. Zwei schnürende Stunden Staatsbürgerkunde, Thema: Das Leben der Anderen, die in Geist und Gangart frei sein wollten, von Bevormundungen, Umzäunungen. Unglückliche Menschen im Gesellschaftsverhängnis.

In seiner tiefernsten Lakonik, seiner besinnungskräftigen Zurückhaltung wirkt der Abend provokativ. Er schaut gleichsam unaufgeregt in den Zuschauerraum, obwohl auf der Bühne mitunter (noch immer) mit den Tränen gekämpft wird. Das sind Menschen, denen Existenz genommen wurde, auf eine Weise, die durch nichts zu rechtfertigen ist, auch wenn sie sich durch Gesetzeskraft legitimiert meinte. Das Zermürbtwerden, wenn man auf Verhöre wartete. Die Einzelhaft. Die Zwangsordnung, in welcher Haltung man nachts zu schlafen habe. Der Zynismus der Verhörer (mancher blickt gelangweilt vom ND auf): Aufforderung an den Verhafteten, er möge doch bitte sagen, warum er »hergebeten« worden sei. Ein altes stalinistisches Prinzip: Das Opfer muss seine Täterschaft begründen, nicht der Ankläger; dies ist der erste Schritt zum Geständnis, und vielleicht bedarf es bei eigener entgegenkommenden Anstrengung des Inhaftierten weniger »Aufhilfe« durch Schlafentzug und Isolation. (Nach 1990 wird sich ein Verhörer verwundert bei einem der Opfer melden: Er verstehe dessen Aufwallung nicht, man habe sich doch damals gut unterhalten.)

Haft warum? Briefe an den RIAS; Fluchtversuch in tschechischen Wäldern; literarische Hetze gegen die DDR; ein Luxemburg-Plakat bei der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration; Teilnahme am Ausreisewilligentreff; Fluchthelfertum; der Versuch, Interviews mit DDR-Punks zu schmuggeln.

Folgen der Haft: Angst vor geschlossenen Türen, kleinen Räumen, gedämpftem Licht; Hass; kein Hass; Vergessenwollen und Nichtvergessenkönnen. Der Älteste, 81 Jahre alt, hielt sich in sieben Bautzner Jahren auch mit Rezitieren aufrecht, Shakespeares 43. Sonett trägt er jetzt vor. Der Saal hält den Atem an.

Vierzehn Namen, Welten. Hans-Eberhard Zahn, Dieter von Wichmann, Harry Santos, Peter-Michael Wulkau, Mario Röllig, Vera Lengsfeld; Gilbert Furian, Dieter Drewitz, Heidelore Rutz, Edda Schönherz, Mathias Melster, Erhard Neubert, Thomas Raufeisen, Hartmut Richter.

Gesetzesbruch sei Gesetzesbruch? Gefängnis sei Gefängnis, weltweit? Wer nach diesem Abend solches denken würde, wäre böse dran mit seinem Herz.

Nächste Vorstellung: 6. November

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