»Italiens Opposition hat mit Angepasstheit zu kämpfen«

Linkspolitiker Vendola zur Strategie gegen Premier Berlusconi

  • Lesedauer: 3 Min.
Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi steht unter Druck. Nach der Aufhebung des für ihn maßgeschneiderten Immunitätsgesetzes droht ihm eine Welle von Prozessen. Die Reaktion des »Cavaliere« sind Rundumschläge gegen alles und jeden. Dabei sieht er nicht nur »kommunistische Richter«, sondern attackiert selbst Staatspräsident Giorgio Napolitano. Mit Nichi Vendola, Präsident der Region Apulien und führender Politiker des linken Wahlbündnisses Sinistra e Libertà (Linke und Freiheit) sprach über die Situation in Italien für ND Raoul Rigault.
»Italiens Opposition hat mit Angepasstheit zu kämpfen«

ND: Wie ist die politische Lage in Italien nach dem Urteilsspruch des Verfassungsgerichts?
Vendola: Berlusconi hat die Verfassung und die Struktur einer auf dem Gleichgewicht der Gewalten beruhenden Demokratie herausgefordert und verloren. In jeder Demokratie der Welt hätte das zwei unmittelbare Konsequenzen: Erstens, der Angeklagte tritt vor seine Richter, ohne weiter zu versuchen, die Prozesse mit Hilfe von Einschüchterungskampagnen und juristischen Kunstgriffen zu demontieren. Zweitens, Ministerpräsident Berlusconi und sein Justizminister Angelino Alfano als Autor des für verfassungswidrig erklärten Immunitätsgesetzes stellen sich dem Parlament und reichen ihre Rücktritte ein.

Das scheinen Sie allerdings nicht vor zu haben.
Berlusconi versteht den politischem Kampf als Glücksspiel. Die Entscheidung, ständig den Einsatz zu erhöhen und dabei zu versuchen, die Bank zu sprengen, ist integraler Bestandteil der zunehmenden Verzerrung unseres politisch-institutionellen Lebens.

Einen institutionellen Konflikt von diesem Ausmaß und dieser Heftigkeit gab es bislang aber noch nicht, oder?
Trotzdem er über eine so breite Mehrheit und ein so willfähriges Parlament verfügt, hat der Ministerpräsident immer wieder darauf gesetzt, Rolle und Funktion der Abgeordnetenkammer zu delegitimieren und dabei an die lange zurückliegenden verbalen Kraftmeiereien jenes Amtsvorgängers erinnert, der diesen »grauen und tauben Saal in einen Biwak des Rutenbündels« verwandeln wollte (eine Anspielung auf Mussolini; d. Red.). Trotz der umfangreichen Gesetzgebung in eigener Sache und trotz der spektakulären Gegenüberstellung von Volk und Gesetz, mit der er das Recht punktuell dem Primat des Volkskonsenses unterordnen will, hat Berlusconi die Gesetzgebung, ihre Grundlagen und ihre Legitimation weiter systematisch bombardiert. Er hat dabei eine besondere Form des politisch-medialen Absolutismus entwickelt.

Wie realistisch ist Ihre Forderung nach Berlusconis Rücktritt angesichts der Tatsache, dass sich die mitte-links orientierte Demokratische Partei sofort dagegen ausgesprochen hat und die Opposition offenkundig über keinerlei Strategie verfügt?
Die verschiedenen Teile der Opposition haben tatsächlich nicht nur massiv mit ihrer Zersplitterung, sondern auch mit einer kulturellen Unterordnung und Angepasstheit zu kämpfen. Das macht sie zu Protagonisten eines verbrauchten Politikbetriebs, der mit der Taktik und dem flotten Spruch im Fernsehstudio lebt und stirbt. Dies sollte allerdings der Moment sein, an dem sich alle Oppositionskräfte an einem Ort treffen, um sich darüber zu unterhalten, welchen Zusammenhang es zwischen der politischen und der sozialen Krise in unserem Land gibt.

Geht es Ihnen dabei um die Entwicklung einer kurzfristigen gemeinsamen Strategie oder um etwas Grundsätzlicheres?
Man hat den Eindruck, dass es der Politik nicht gelingt, sich eine klare Vorstellung von der Lage im Land zu machen. Gleichzeitig tut sich etwas in Italien. Da ist zum Beispiel der Arbeiter, der mit einem Benzinkanister auf ein Fabrikdach klettert und den Kampf um seinen Arbeitsplatz als einen nackten Überlebenskampf erlebt. Doch die Politik schweigt gerade zu den Fragen, die durch die Krise immer drängender werden.

Wir sollten uns zusammensetzen und nach Verbindungsgliedern zwischen der Verteidigung der Freiheitsrechte und dem Schutz der sozialen Rechte suchen. Vordergründig streitet man sich über die Frage der Kampfformen, aber in Wahrheit herrscht eine Konfusion, die für zahlreiche Paradoxe sorgt. Die Menschen, die am 3. Oktober in Rom auf der Piazza del Popolo für die Pressefreiheit demonstriert haben, sind ein Volk ohne Partei und gleichzeitig gibt es viele Parteien ohne Volk. Deshalb müssen wir versuchen, den Punkt im Blick zu behalten, an dem die Nacht über unsere republikanischen Geschichte hereingebrochen ist, ohne uns in formellen Disputen darüber zu verlieren, ob wir jetzt in Italien ein Regime haben oder nicht. Man muss versuchen, eine gemeinsame Diagnose dieser schweren nationalen Krankheit zu erstellen, die der »Berlusconismus« darstellt, um den verletzten und verlorenen Kräften, die von den Schulen bis zu den Fabriken verzweifelt nach dem roten Faden eines neuen politischen und sozialen Protagonismus suchen, etwas anzubieten.

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