Gekommen, um zu bleiben
Eine Ausstellung über die Zukunft des RAW-Geländes sorgt für Streit
Solange gebaut wird, darf niemand rein. Musikschule, Zirkus Zack, Proberäume – alles geschlossen. »Einige Projekte sind vorübergehend woanders untergekommen«, sagt Kristine Schütt, Vorsitzende des RAW-Tempels. Im benachbarten Cassiopeia oder in der Theaterkapelle. Die Bauaufsicht hat das ehemalige Stoff- und Gerätelager an der Revaler Straße gesperrt. »Wir müssen eine Lüftungsanlage einbauen, weil für Konzerte die Frischluft durchs Fenster nicht ausreicht.« Der RAW-Tempel ist eine Dachorganisation für mehr als 60 Kultur- und Kunstprojekte. »Um Fördergelder für diese Baumaßnahme zu bekommen, brauchen wir eine Perspektive und haben eine Verlängerung des Mietvertrags bis 2016 angestrebt«, erläutert Schütt.
Vor zwei Jahren hat die R.E.D. Berlin Development GmbH, hinter der sich isländische Investoren verbergen, das ehemalige Reichsbahn-Ausbesserungswerk (RAW) in Friedrichshain gekauft. Moritz Müller als Verwalter des Grundstücks hatte anfänglich keine Einwände gegen eine Vertragsverlängerung. Doch mittlerweile hat er es sich anders überlegt und will es auf eine Räumungsklage ankommen lassen. Der RAW-Tempel sei für ihn kein verlässlicher Partner mehr, erklärt er gegenüber dem ND. Es herrscht dicke Luft in der Revaler Straße.
Der RAW-Tempel ist jedoch nur einer von insgesamt 22 Zwischennutzern auf dem Gelände, das so groß ist wie 14 Fußballfelder. Vor zehn Jahren haben sich die Bewohner das verlassene Areal angeeignet, erklärt Johanna, der Clown aus dem Zirkus Zack in Louise Culots Film »RAW – wir sind gekommen um zu bleiben«. In den Hallen mischen sich die Subkulturen, dieser Mix prägt den Kiez.
Wie es nun mit dem Gelände weitergeht, darüber informiert bis zum 25. Oktober eine Ausstellung in einem Container an der Revaler Straße. Denn bislang gibt es lediglich eine Bauabsicht der R.E.D. Frauke Hehl von der Initiative Ideenaufruf findet, dass der Kiez über das, was auf dem Gelände passiert und geplant wird, informiert werden solle. Deshalb hat der Ideenaufruf versucht, Anwohner, Nutzer, Bezirk und den Eigentümer für die Ausstellung zu gewinnen.
Doch Moritz Müller wittert einen Affront gegen sich. Den Ideenaufruf rechnet er zum Umfeld der unliebsamen Nutzer des RAW-Tempels. »Mit uns wurde im Vorfeld der Ausstellung nicht geredet. Das ist undemokratisch«, behauptet er und beschwert sich in einem Brief an Joachim Pempel (LINKE), den Vorsitzenden des örtlichen Stadtplanungsausschusses. Ihm sei es unverständlich, warum eine solche Ausstellung vom Bezirksamt mit 1000 Euro unterstützt werde.
Pempel jedoch begrüßt es, wenn die Anwohner bei Bauprojekten ihre Wünsche äußern und die weitere Planung möglichst im Einvernehmen folgen kann. Müller ist allerdings vergrätzt und bleibt der Ausstellung fern, so dass einzig der Beschwerdebrief von der R.E.D. gezeigt wird.
In dem Film über das RAW-Gelände kommt auch der R.E.D.-Geschäftsführer Klaus Wagner zu Wort. Einvernehmen bestehe mit dem Bezirk über eine soziokulturelle Nutzung, und er wolle sich auch die Vorstellungen der gegenwärtigen Mieter anhören. »Aber wir akzeptieren nicht, dass Ihr eine Planung auf unserem Gelände macht«, erklärt er mit stechendem Blick in die Kamera. »Das akzeptieren wir nicht.«
Joachim Pempel findet es schwierig, das Revaler Viereck zu entwickeln. »Die Gespräche verlaufen zäh«, sagt er. Nicht zuletzt liegt das auch daran, dass Müller bei der lokalen Politik eine Sympathie für die derzeitigen Nutzer vermutet und dem Bezirk Unwillen zur Veränderung vorwirft. »Das ist Quatsch«, sagt Pempel. »Natürlich wollen wir, dass sich hier was tut.«
Für die nächsten zehn Jahre plant die R.E.D., eine Zwischennutzung auf dem Gelände fortzusetzen. Aber langfristig wollen Müller und Wagner an ihrer Vision festhalten und mit einer Bebauung das Areal »für den Kiez öffnen«. Ein Satz, der bei den derzeitigen Nutzern Kopfschütteln hervorruft. Schließlich sind sie längst in den Hallen und Häusern, und Culots Filmtitel weist darauf hin: Sie wollen bleiben.
Ausstellung bis 25.10. vor dem RAW-Gelände. Film »Wir sind gekommen um zu bleiben« am 1.11. auf dem Festival Kiezkieken auf der Hoppetosse
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