Die permanente Wende
»Das Haus. Ein Wändestück« – ein Gleichnis am Theater Plauen-Zwickau
Kein Wendestück, gottlob. Torsten Händlers Premiere lag zwar in der Feierzeit zum 20. Jahrestag des Mauerfalls. Der neue Ballettdirektor und Chefchoreograf des Theaters Plauen-Zwickau ist jedoch zu sehr Schelm und Pfiffikus, als dass er daraus für seinen künstlerischen Einstand leichtfertig Kapital geschlagen hätte. Händler versteht jene Phase des Umbruchs nicht nur als abstraktes Politereignis, sondern allgemeiner auch als Wandel im Leben des Einzelnen, denn: Wenden passieren einem permanent.
Dass er dadurch jeder Gefahr des Plakativen entgeht, ist einer der vielen Vorzüge dieses 75 Minuten im Stück laufenden Abends. Kein Heldenpathos also um die friedliche Revolution, vielmehr Nachdenken über das, was in privaten Beziehungen ablaufen kann, unabhängig von gesellschaftlichen Großevents und dennoch ohne biedermeierliche Betulichkeit. »Das Haus« nennt Händler seinen Beitrag und klassifiziert ihn süffisant als: »Ein Wändestück«. Das macht schmunzeln, noch bevor man nur einen Schritt gesehen hat.
Wasser tropft und schwappt elektronisch, in grünem Dampf stehen je sechs Frauen und Männer in Reihe vor der bizarren Fassade, die Manuela Geisler als Bühne entwarf. Nervös sich steigernde »Minimal Music« von Philip Glass treibt die Menschen fort von der Ruine, was immer man damit assoziieren möchte. Intensiven Tanz mit Sprüngen und Bodenrutschern sowie dichte Formationen, etwa eine Senkrechte, die sich zu beiden Seiten hin auflöst, setzt der Choreograf schon in diesem ersten Bild »Am Anfang war …« ein.
Auch ein Indianer, Magier oder Zeremonienmeister findet sich unter der Personnage. Er betastet die Mauer und zieht daraus ein butzenkleines Häuschen mit Spitzdach vor. Hände wie Schlingpflanzen flattern zu beiden Seiten auf; als er die Hütte dreht, ist sie Wohnstatt eines reifen Paares. Ein jazziger Song mit Manfred Krug umreißt die Situation: Noch siegt Liebe im »Trauten Heim«, doch schon sind erste Risse im Miteinander zu spüren, wie Anna Belioustova und Eduard Nicolae Taranu sie im dichten Geflecht ihres Duetts andeuten. Dass bei Händler Artistik nicht Selbstzweck wird, sondern im Dienst der Aussage steht, ist ein weiterer Vorzug.
Dann kommt, was kommen muss. Das Haus, Symbol wofür immer, wird zu eng für zwei, er flieht aus der gedrückten Stimmung, taucht in eine hektische Welt ein, entdeckt dort, was ihm nur – zuvor Bild gewordene – Illusion schien: ein junges Mädchen, das sich zu ihm hingezogen fühlt. Mit Klötzchen auf den Boden schlagend, dann mit Topfdeckel, Rohr und Co. erzeugt die fröhliche Schar ihren Rhythmus, was auch der internationalen Tänzertruppe gut steht und einen Hauch von Stomp nach Plauen weht.
Das Haus ist da nochmals gewendet, aus ihrem Gedrängtsein darin befreien sich die Menschen, roter Schnee regnet. Und es findet sich ein Zweitindianer: Etwa zur selben Zeit brach im Kino Ost wie West der Prärietaumel aus, nach Karl Mays Fantasievorlagen auf der einen, in den Nobelgestalten des Gojko Mitic auf der anderen Seite. Erst sprengen die »Indianer« Kojiro Suzuki und Sebastian Uske jene Hütte, vereinen sich virtuos in einem HipHop-Duo, schließen und öffnen per Fernbedienung den Vorhang. Das reife Paar trennt sich, wieder zu einem Krug-Titel von Günther Fischer, endgültig, die Frau sieht betroffen Liebenden zu.
Emotionales Zentrum des Abends ist ein ungemein subtil gefügter Doppel-Pas de deux des Mannes mit seiner jungen Freundin und der Frau mit einem anderen Mann. Hin und her wogen die Gefühle, münden kurz in der bewährten Beziehung, laufen parallel, dann wieder konträr, entwickeln sich logisch und in harmonischer Bewegungssprache. Nichts gerät in Händlers Handschrift deprimierend oder tragisch, Leichtigkeit schwebt über allem Vergänglichen, Humor webt er eh stets ein. Wie die Geschichte ausgeht, bleibt weise offen. Das letzte, zwölfte Bild erkennt im Ende den Neuanfang.
Den hat auch die mit Begeisterung auftrumpfende Compagnie aus übernommenen und neu engagierten Tänzern erfolgreich bestanden. Händlers zeitgenössischer Tanz mit klassischer Basis passt ihr wie angegossen und zeigt sie verblüffend homogen.
Nächste Vorstellungen: am 24., 25., 29.10., 3., 8. und 27.11. in Plauen, am 5.11., 11. und 12.12. in Zwickau
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