Als der Erfolg delegiert wurde

Vor 55 Jahren verlor das Dorf Lauter seine Fußballer nach Rostock

  • Günter Bergner
  • Lesedauer: 3 Min.

Am 25. Oktober, vor 55 Jahren, startete auf dem Lauterer Markt ein Bus nach Rostock. Darin saßen die Spieler der Oberliga-Fußballmannschaft Empor aus Lauter, einer Gemeinde von 8000 Einwohnern. Sie sollten nicht mehr wiederkommen. Eine Maßnahme zur »Konzentration« von Spitzenkräften, hieß es damals im Fußball-Magazin »Fuwo«. »Unter dem Namen Empor Rostock werden künftig die Oberligaspiele der bisherigen BSG Empor Lauter im Rostocker Ostseestadion ausgetragen. Die Spieler sind inzwischen nach Rostock umgesiedelt und wurden vom Oberbürgermeister und vom Bezirkskomitee empfangen.«

Der Spielertransfer, offiziell als »Delegierung« bezeichnet, sorgte an der Küste für Jubel, denn mit dem damaligen Oberliga-Tabellenführer und dem neuen Ostseestadion standen die Sterne für die erfolglose Fußballregion günstig. Im Erzgebirge kochte dagegen die Volksseele. Protestversammlungen und Unterschriftenlisten hatten die Funktionäre nicht umstimmen können. Obwohl im vier Kilometer entfernten Aue eine zweite Mannschaft in der Oberliga spielte, wog der Verlust der »Lauterer« bei den Fans schwer. Die Mannschaft war stets Sympathieträger im Erzgebirge, seit hier der Fußball rollte.

Im Jahr 1912 sollen Lauterer Jungs ausgerechnet in Aue das »neue Spiel mit dem Ball« entdeckt haben. Seitdem war es immer etwas Besonderes, wenn eine Lauterer gegen eine Auer Mannschaft – wenn Dorf gegen Stadt – spielte. Der Fußball wurde schnell zur beliebtesten Freizeitbeschäftigung der Lauterer, sodass die Gründung des Fußballvereins »Viktoria« 1913 nur logische Folge war. 1925 wurde Lauter Erzgebirgsmeister. Der Titel löste im Dorf einen wahren Fußballboom aus: 1932 kickten bereits 14 Herren-, 5 Jugend- und 2 Knabenmannschaften.

Mit der Machtübernahme der Nazis brachen für die Arbeitersportvereine schwere Zeiten an und in den Kriegsjahren kam der Fußball ganz zum Erliegen. 93 Lauterer Fußballer fielen auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges.

Nach Kriegsende fanden sich schnell Fußballinteressierte in Lauter, und die Wismut AG schuf die Basis für aktives sportliches Leben. Die »SG Lauter« schaffte 1952 sensationell den Aufstieg in die DDR-Oberliga. Dazu heißt es in der Chronik »850 Jahre Lauter«: »Da es keinen geeigneten Platz in Lauter gab, wurde in umliegenden Orten gespielt. Das erste Oberliga-Punktspiel bestritt Lauter am 21.9.1952 in Annaberg vor 10 000 Zuschauern gegen Rotation Dresden, was 2:2 endete.«

Über das nächste Duell der sogenannten Erzrivalen Lauter und Aue ein Jahr später schrieb Wolfgang Hempel in der »Fuwo«: »Die Verbindungsstraße zwischen Aue, Lauter und Schwarzenberg glich einer Karawanenstraße. Ein Taxichauffeur, der mich in schneller Fahrt ans Ziel brachte, meinte: ›Heute können wir in Lauter und Aue ganze Wohnungen ausräumen. Da ist alles auf dem Fußballplatz.‹« Lauter siegte 2:0.

Beim 850-jährigen Heimatfest im Oktober wurden die Erinnerungen an die Zeit, als das Dorf durch den Fußball in der Republik bekannt wurde, wieder lebendig. Im Festumzug fuhr auch ein historischer Bus, der wohl daran erinnern sollte, was vor 55 Jahren geschehen war. Im Bus saßen Rudolf Hertzsch und Konrad Schubert, die zur glorreichen Stammelf gehörten, jedoch den Bus nach Rostock nicht bestiegen. Stattdessen spielten sie bei Motor Zwickau und halfen jüngeren Lauterern auf dem Weg zum Kreismeistertitel.

Nach der Wende konnte auch die Neugründung der alten »Viktoria« dem Lauterer Fußball keine neuen Impulse geben. Der Traditionsverein spielt heute in der sächsischen Bezirksklasse.

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