Afghanistan hat keine Wahl mehr
Kommission in Kabul erklärte Amtsinhaber Karsai definitiv zum Sieger / Stichvotum abgesagt
Kabul (Agenturen/ND). Angesichts des Rückzugs von Ex-Außenminister Abdullah Abdullah sagte die Wahlkommission (IEC) die für kommenden Sonnabend geplante Stichwahl ab. Zweieinhalb Monate nach der ersten Wahlrunde am 20. August erklärte IEC-Chef Asisullah Ludin, Karsai habe im ersten Wahlgang mit 49,67 Prozent der Stimmen die Mehrheit erzielt. Da er bei der Stichwahl keinen Gegenkandidaten mehr habe, hätten die IEC-Mitglieder einstimmig beschlossen, ihm den Sieg zuzuerkennen. »Wir erklären Hamid Karsai zum gewählten Präsidenten des Landes.« UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon gratulierte Karsai.
Abdullah hatte von Karsai gefordert, IEC-Chef Ludin wegen des massiven Betrugs in der ersten Runde der Wahl zu entlassen. Als Karsai dies verweigerte, hatte Abdullah am Sonntag unter Verweis auf erneut drohende Manipulationen bei der zweiten Runde seine Teilnahme an der Präsidentenwahl abgesagt. Nach dem um gefälschte Stimmen bereinigten Endergebnis der ersten Runde hatte Karsai die absolute Mehrheit knapp verfehlt. Der Amtsinhaber habe dennoch fast 20 Punkte vor Abdullah gelegen, der auf 30,59 Prozent der Stimmen gekommen sein soll.
Ban, der am Montag zu einem Besuch in Kabul eingetroffen war, begrüßte die IEC-Entscheidung. »Dies ist ein schwieriger Wahlprozess für Afghanistan gewesen und Lektionen müssen gelernt werden«, hieß es in einer Erklärung Bans. »Afghanistan steht nun vor bedeutenden Herausforderungen.« Karsai müsse schnell eine Regierung bilden, die das Vertrauen des afghanischen Volkes und der internationalen Gemeinschaft habe. Ban sagte nach getrennten Treffen mit Karsai und Abdullah, die Wahl in Afghanistan sei eine der schwierigsten gewesen, die die UNO jemals unterstützt hätte.
Als erster westlicher Regierungschef gratulierte der britische Premierminister Gordon Brown Karsai in einem Telefonat. Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle und sein französischer Amtskollege Bernard Kouchner gratulierten. »Wir erwarten, dass sich der afghanische Präsident bemüht, die verschiedenen Lager zusammenzuführen, um Präsident aller Afghanen zu sein«, sagte Westerwelle bei seinem Antrittsbesuch in Paris.
Da Karsai keine absolute Mehrheit hatte, war nach der Verfassung eine Stichwahl notwendig geworden. Der Rückzug eines Kandidaten aus der Stichwahl ist in dem Gesetzestext allerdings nicht vorgesehen. Ludin verwies darauf, dass die Verfassung zwei Kandidaten bei der Stichwahl vorschreibe. Er führte außerdem Sicherheits- und finanzielle Gründe für die Absage der Wahl an.
Unklar blieb zunächst, ob Karsai das Abdullah-Lager an einer künftigen Regierung beteiligen würde.
In Deutschland kritisierte die LINKE scharf die Entscheidung der afghanischen Wahlkommission. »Nun hat sich das Projekt der Demokratisierung Afghanistans unter Gewehrläufen endgültig als Farce entpuppt«, erklärte Inge Höger, abrüstungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. »Die Bundesregierung und die NATO stehen bezüglich ihrer politischen Begründung für den Krieg in Afghanistan nun endgültig vor einem gigantischen Trümmerhaufen. Sie haben mit dem neuen, alten Präsidenten Karsai einen Bündnispartner in Afghanistan installiert, der auch noch den letzten Rest an Legitimität verloren hat.« Das Wahldebakel, so Höger weiter, habe deutlich gezeigt, dass sich eine demokratische Wahl unter den Bedingungen von Krieg und Besatzung nicht durchführen lässt. NATO und Bundeswehr würden »zu Komplizen eines Wahlbetrügers, wenn sie nun weiter an der Seite Karsais und seiner Armee kämpfen«.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.