Die SPD ist fremdbestimmt

Der Publizist Albrecht Müller über sein neues Buch »Meinungsmache«, die Krise der SPD und Medienkampagnen gegen Oskar Lafontaine

  • Lesedauer: 10 Min.

ND: In Ihrem neuen Buch »Meinungsmache« beklagen Sie die zunehmende Manipulation der Wähler durch Netzwerke aus Politik, Medien und Wirtschaft. Ist der schwarz-gelbe Wahlsieg eine Folge dieser Meinungsmache?
Müller: Ja. Jene Menschen und Gruppen in Deutschland, die über viel Geld und viel publizistische Macht verfügen, haben bereits vor längerem entdeckt, dass sie politische Entscheidungen vorbereiten und erwirken können, in dem sie die öffentliche Meinung beeinflussen. Manchmal reicht es, nur die veröffentlichte Meinung zu beeinflussen, also die Meinung der Journalisten und der sonstigen Meinungsführer.

Also zahlt sich die Freundschaft von Kanzlerin Merkel mit der Verlegerin Elfriede Springer und der heimlichen Chefin des Bertelsmann-Konzerns, Liz Mohn, am Ende aus?
Es war klar, wen Wirtschaft und Banken am liebsten an der Macht sehen wollten: Schwarz-Gelb. Die beiden Medienkonzerne Springer und Bertelsmann haben den Boden dafür bereitet. Dagegen hätten sich SPD, LINKE und Grüne wehren können, indem sie diesen Einfluss des großen Geldes sichtbar gemacht und die Menschen dagegen mobilisiert hätten. Das ist bei früheren Wahlkämpfen der SPD schon mehrmals gelungen. Die LINKE hat diese undemokratische Medienbarriere ein bisschen thematisiert, die SPD nicht. Das hat zum miserablen Ergebnis von 23 Prozent beigetragen.

Der schockierende Wahlausgang ist auch eine Folge der jahrelangen Fremdbestimmung der SPD. Die konservativen Kräfte regieren sogar in die Personalentscheidungen der SPD hinein. Das konnte man nach der Wahl wieder beobachten. Eigentlich hätte Steinmeier seinen Hut nehmen müssen, stattdessen setzt er sich unter dem Beifall konservativer Medien als Fraktionsführer fest. In meinem neuen Buch analysiere ich, wie über Meinungsmache eben nicht nur ein Wahlergebnis wie das vom 27. September mitbestimmt wird, sondern wie auch die innere Willensbildung und Entscheidungen zu Personen, Inhalten und Programm von außen gemacht werden.

Wie konnte denn eine Partei, die im Jahre 1995 den bekennenden Parteilinken Lafontaine mit überwältigender Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt hatte, innerhalb weniger Jahre auf einen neoliberalen Kurs gebracht werden?
Das Elend der SPD ist vor allem dadurch bedingt, dass sie von den konservativen Seeheimern und den sogenannten Netzwerkern beherrscht wird. Ihr fehlt damit ein inhaltlich interessantes Profil und auch die notwendige Breite. Das hat sich seit Helmut Schmidts Kanzlerschaft, also seit 1974, so angebahnt. Dass Oskar Lafontaine 1995 zum Vorsitzenden gewählt wurde, ist eher ein Ausreißer. Schon beim Kampf um die Kanzlerkandidatur zwischen Dezember 1997 und März 1998 bekam Lafontaine die starke Verankerung Gerhard Schröders in konservativen Kreisen und Medien zu spüren. Sie sorgten für den Sieg des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten.

Mit ihrer Unterstützung wurde dann nach gewonnener Wahl der neue Bundesfinanzminister und SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine sehr schnell aus dem Amt gemobt. In einem klassischen Zusammenspiel von SPD-Rechter und Medien.

Und nun sucht die SPD nach einem Neuanfang. Kann ihr der Spagat zwischen Parteilinker und dem alten Agenda-Personal gelingen?
Wo gibt es denn da einen Spagat? Und wo bitte schön sehen Sie die Parteilinke? Ich sehe die wirklich linken Inhalte bei Andrea Nahles, der Hauptrepräsentanten der Linken in der Parteiführung, nicht. Auch nicht bei Wowereit. Die Linke können Sie doch nicht festmachen an Leuten, die der Agenda 2010 und dem Afghanistan-Einsatz zugestimmt haben. Ottmar Schreiner vom wirklich fortschrittlichen Flügel ist offensichtlich vorerst ausgebootet.

Die zukünftige Generalsekretärin Andrea Nahles ist gar keine Partei-Linke?
Nein, tut mir schrecklich leid. Sie hat doch alles mit zu verantworten, was in den vergangenen Jahren lief. Sie hat die Agenda 2010 mitgetragen und zum Beispiel auch der Einführung der Riester-Rente zugestimmt. Mit der Propaganda für die Privatvorsorge ist aber das Vertrauen in das solidarische Sicherungssystem zerstört worden. Das ist das Gegenteil von links.

Also dieses Triumvirat Steinmeier, Gabriel und Nahles repräsentiert keine glaubwürdige Öffnung zur Linkspartei?
So ist es. In der »Bild«-Zeitung, der »Welt« und in der »Zeit« zum Beispiel wird behauptet, die SPD würde jetzt nach links rücken. Das ist eine Kampagne, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die Bild-Zeitung hat ja sogar aus Sigmar Gabriel einen Linken gemacht. Daran sehen Sie, wie die Fremdbestimmung läuft. Es ist immer wieder das gleiche Spiel. Auch als Andrea Ypsilanti in Hessen versuchte, eine Koalition auf der Linken zu Stande zu bringen, behauptete die Rechte von der »Bild«-Zeitung über den »Spiegel« bis zur Union, die SPD rücke nach links. Dadurch animierte man die SPD zu Personal- und Sachentscheidungen, die alles andere waren als der herbeifantasierte Linksruck. Eben weil die SPD-Führung den Eindruck vermeiden wollte, die SPD rücke nach links. Ein eklatanter Fall von Fremdbestimmung.

Ist der Sturz in die Bedeutungslosigkeit für die SPD noch aufzuhalten? Jetzt, da die LINKE klassisch sozialdemokratische Forderungen glaubwürdiger vermittelt als die SPD.
Anders als jene Leute, die meinen, man müsse dafür sorgen, dass die SPD schnell von der Bildfläche verschwindet, glaube ich, dass es keine linke politische Alternative ohne die SPD geben wird. Wenn man diese Alternative will, und das müsste eigentlich für alle Demokraten gelten, dann kann man nur darauf hoffen, dass sich die SPD rundum erneuert. Sie muss ihren Kurs korrigieren, sie muss sich von der Agenda 2010 verabschieden. Und sich dann als breite linke Partei präsentieren, einschließlich des eher konservativen Flügels.

Eine Alternative zu dem jetzigen rechtskonservativen Bündnis kann es nur unter Einbeziehung von aufgeschlossenen Wertkonservativen geben. Es gibt auch unter ihnen Menschen, die begriffen haben, dass Sozialstaat und Solidarität eine wichtige Basis für ein fruchtbares gesellschaftliche Zusammenleben sind. Soziale Sicherheit ist ein wichtiges Fundament von Kreativität und Produktivität. Das haben auch manche Unternehmer begriffen. Sie gehören zu solch einem progressiven Bündnis.

Kommen wir noch mal zurück zu »Meinungsmache«. Sie prangern dort auch die Medienkampagne gegen die Linkspartei, und vor allem Oskar Lafontaine, an. Wie sieht denn so eine Medienkampagne aus?
Das Sommerinterview im ZDF war ein herausragendes Beispiel dafür. Ein Ereignis von 1999, der Rücktritt Lafontaines, wurde dort vom interviewenden Peter Frey zum Hauptthema gemacht. Lafontaine wurde unentwegt mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe als SPD Vorsitzender und Finanzminister 1999 den Bettel hingeschmissen. Diese Kampagne zog sich durch den Wahlkampf. Sie nahm keinerlei Notiz von den Fakten. Sie nahm auch keine Notiz davon, dass Lafontaine damals keinen Ausweg sah. Er war faktisch eingemauert durch Schröder und Kanzleramtschef Hombach. Dazu kam die Medienkampagne über Großbritannien. »Der gefährlichste Mann Europas«, so titelte die britische Boulevard-Zeitung »Sun« damals. Beim ZDF heißt das: »Bettel hingeschmissen« und »aus der Verantwortung davonlaufen« .

Die Dauerkampagne gegen Lafontaine wurde ergänzt vom ständig wiederkehrenden Vorwurf, die Linkspartei sei total zerstritten. Alle Parteien sind »zerstritten«, weil sie unterschiedliche Strömungen in sich vereinen. Dann hieß es, der westliche Teil der Linkspartei sei besonders gefährlich und radikal. Als wären die westlichen Linkspartei-Mitglieder die eigentlichen Nachfolger der SED. Jetzt heißt es immer wieder, die Linkspartei stehe nicht auf dem Boden der Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gegenüber EU und NATO. Diese Vorwürfe sind eigenartig.

Egon Bahr, der die Linkspartei deswegen heftig kritisiert, hat noch nach dem Fall der Mauer mit mir einen Entwurf für das Berliner Grundsatzprogramm der SPD formuliert. In dem Entwurf hieß es, dass es das Ziel sozialdemokratischer Politik sein müsse, beide Blöcke abzuschaffen – den Warschauer Pakt und die NATO – und eine europäische Friedensordnung zu schaffen.

Wem war Finanzminister Lafontaine denn 1999 so unbequem, dass man ihn kurzerhand in Großbritannien zum »gefährlichsten Mann Europas« erklärte?
Lafontaine wollte als Finanzminister schon damals die internationalem Finanzmärkte besser kontrollieren und hatte konkrete Vorstellungen. Das passte den Herrn der Londoner City und den davon beeinflussten Medien und Politikern nicht. Und außerdem wollte er eine expansive Wirtschaftspolitik, um die Arbeitslosigkeit loszuwerden. Damit war er Gegner des Konzepts der Reservearmee, mit dem man Löhne drückt. Zudem war klar, dass er die neoliberale und anti-sozialstaatliche Wende von Blair und Schröder samt ihrer Mitarbeiter Mandelson und Hombach nicht mitmachen würde. Da war es logisch, ihn zum »gefährlichsten Mann Europas« hoch zu stilisieren.

Tony Blair und der britische New Labour-Vordenker Peter Mandelson haben vermutlich mitgeholfen, in Kooperation mit dem Medienmogul Rupert Murdoch, der damals die Labour-Partei unterstützte, die Kampagne gegen Lafontaine in Großbritannien anzuschieben. Die Aufregung wurde dann nach Deutschland »zurückgespiegelt«. Ein altes Modell der Meinungsbeeinflussung.

In Ihrem neuen Buch gehen Sie auch auf den Wandel des Nachrichtenmagazins »Spiegel« ein. Gesine Schwan, die zweimalige SPD-Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin, erzählte einmal, dass sie während ihrer ersten Kandidatur im Jahre 2004 mit einem »Spiegel«-Redakteur zusammensaß und diesen unter vier Augen fragte, warum man im »Spiegel« kaum etwas über sie lesen könne, dafür um so mehr über ihren CDU-Konkurrenten Köhler. Darauf antwortete der Redakteur: Man habe beschlossen, dass Rot-Grün weg müsse, deshalb könne man sich eine rot-grüne Bundespräsidentin nicht leisten. Schwingt sich hier ein Meinungsmedium zum Königsmacher auf?
Die Chefredaktion hat auch schon 1969 ihren Einfluss geltend gemacht und sich dafür eingesetzt, dass die CDU-FDP-Koalition abgelöst wird. Man wollte der Ostpolitik und der damaligen Reformpolitik eine Chance geben. Das Phänomen ist also nicht so ganz neu, aber es ist natürlich empörend, dass dieses Magazin zu einem Kampagnenmedium verkommen ist. Im großen und ganzen ist es so, wie Frau Schwan das erlebt hat. Meinung wird bewusst gemacht, um politische Entscheidungen zu erwirken. Und wenn jetzt »Spiegel«, »Süddeutsche Zeitung», »Zeit«, ARD, ZDF und die kommerziellen Sender sowieso die Trommel für Schwarz-Gelb gerührt haben, dann haben wir keine pluralistische Öffentlichkeit mehr. Im Grunde müsste das Verfassungsgericht einschreiten, wenn es das von sich aus könnte, denn die Pluralität der Meinungsbildung ist nicht mehr gewahrt. Der Artikel 5 des Grundgesetzes ist eindeutig verletzt.

Sie empfehlen am Ende Ihres Buches die Schaffung von Gegenöffentlichkeiten. Aber welche Möglichkeiten bieten sich Journalisten oder kritischen Bürgern« Wie kann man die Meinungsmacht von Bertelsmann und Springer brechen?
Es ist schwer, das gebe ich zu. Dennoch geht es mir da wie Martin Luther, der selbst dann einen Apfelbaum pflanzen wollte, wenn morgen die Welt unterginge. Also habe ich zusammen mit meinem Freund Wolfgang Lieb und unserem Webmaster Lars Bauer die »Nachdenkseiten« ins Leben gerufen, um so ein Element der Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Das ist ein ehrenamtliches Projekt. Wir haben kein Geld für Werbung. Und dennoch besuchen mittlerweile 60 000 Menschen täglich unsere Seiten. Und es ist unsere Hoffnung, dass wir immer mehr Menschen erreichen, um so Interessengruppen wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Paroli bieten zu können.

Die NachDenkSeiten sind ein Baustein zum Aufbau einer Gegenöffentlichkeit. Dazu gehören andere Internetseiten und einige gedruckte und elektronische Medien. Ob der Versuch erfolgreich sein wird, weiß man nicht. Aber auf jeden Fall kann man auf diese Weise vielleicht verhindern, dass es noch schlimmer kommt. Also Gegenöffentlichkeit aufbauen, Fakten schaffen. Zeigen, wie die Kampagnen laufen, zeigen, wie manipuliert wird. Das machen wir auf den NachDenkSeiten permanent, das steht im Mittelpunkt meines Buches. An mehreren Dutzend Beispielen zeige ich, wie Meinung gemacht wird und wie damit politische Entscheidungen bestimmt werden. So versuchen wir zu helfen, hinter die Kulissen zu schauen und sich so gegen die Einflüsterungen der Manipulateure zu schützen, zu immunisieren. Wir hoffen, dass immer mehr Menschen lernen zu zweifeln, und gegen die laufenden Kampagnen Widerstand zu entwickeln.

Fragen: Fabian Lambeck

Albrecht Müller: »Meinungsmache – Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen«, erschienen im Verlag Droemer Sachbuch

Albrecht Müller (Jahrgang 1938). Der Volkswirt leitete die Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des SPD-Parteivorstandes. In dieser Eigenschaft war er 1972 auch für den erfolgreichen Wahlkampf das damaligen SPD-Bundeskanzlers Willy Brandt verantwortlich. Von 1973 bis 1982 führte Müller die Planungsabteilung im Kanzleramt unter Willy Brandt und Helmut Schmidt. Von 1987 bis 1994 gehörte Müller der SPD-Bundestagsfraktion an. Zusammen mit dem Juristen Wolfgang Lieb gründete er die kritische Website www.nachdenkseiten.de. Laut »Spiegel«: »Eines der ganz wenigen deutschen Polit-Blogs, die überhaupt wahrgenommen werden«.

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