Den Gegner nicht länger als Feind sehen

Historiker Besier: Nach 20 Jahren sollen Politiker auch in Sachsen ideologisch abrüsten

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Sachsens Union soll beim Umgang mit der LINKEN von Brandenburg lernen. Das rät der Historiker Gerhard Besier, den die CDU einst ins Land holte und der für die Genossen im Landtag sitzt.

Am Mittwoch wurden in Sachsens Landtag Posten vergeben. Besetzt wurde auch ein salopp »Wanzenkommission« genanntes Gremium zur Kontrolle der Geheimdienste. Bei Verteilung der fünf Sitze wiederholte sich ein Spektakel, wie es in früheren Wahlperioden immer wieder zu erleben war. Der Chemnitzer Jurist Klaus Bartl, von der LINKEN ins Rennen geschickt, fiel in zwei Wahlgängen durch. Diese waren zwar geheim, doch über die Gründe für die Ablehnung gibt es kaum Zweifel. Bartl wird auch 20 Jahre nach Ende der DDR angelastet, Abteilungsleiter der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt gewesen zu sein und MfS-Kontakte gehabt zu haben.

Damit setzt eine Landtagsmehrheit den kalten Krieg fort – als »kalten Krieg der Erinnerungen«. So nannte es der Historiker Gerhard Besier in einer Aktuellen Stunde zur Entwicklung Sachsens seit dem Mauerfall. Vor allem den Protagonisten vom Herbst 1989 warf er dabei gestern vor, die vor 20 Jahren errungene Freiheit für politische Zwecke zu instrumentalisieren, indem sie einstigen Protagonisten des DDR-Systems verwehrt werde. Es habe 1989 die Möglichkeit gegeben, »alle Gegner an Laternenpfosten aufzuhängen«, sagte Besier: »Dann müsstet ihr euch heute nicht versöhnen – aber dann könntet ihr auch keine friedliche Revolution feiern.« Anderenfalls freilich sei Aussöhnung auch mit denjenigen geboten, die zwar einst »gegen ihren Willen befreit wurden«, seither aber Lernprozesse durchlaufen hätten. Der politische Gegner dürfe nicht »als ewiger Feind diffamiert« werden. Besier empfahl der sächsischen CDU in dem Zusammenhang indirekt, von Brandenburg zu lernen: Der dortige SPD-Ministerpräsident hatte die besiegelte rot-rote Koalition auch unter dem Aspekt notwendiger Versöhnung verteidigt.

Die Äußerungen Besiers, die sich vor allem an die der LINKEN stets in inniger Abneigung verbundene CDU richten, sind pikant. Schließlich war der als konservativ geltende Wissenschaftler einst von der im Freistaat regierenden CDU aus Heidelberg nach Dresden geholt worden. Dort leitete er das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (HAIT). Dieses war mit seinen »Diktaturvergleichen« von NS-Regime und DDR-System ein wichtiger Stichwortgeber für die sächsischen CDU-Hardliner. Mit diesen geriet Besier indes umgehend aneinander, weil er das Institut auf einen gemäßigteren Kurs steuerte. Inzwischen ist er scharfer Kritiker der CDU-Herrschaft im Freistaat, die er mit dem muffigen Filz der Adenauer-Ära im Westen der Republik vergleicht.

Außerdem ist Besier seit August Landtagsabgeordneter – und zwar für die LINKE. Zuvor hatte er an einem intern umstrittenen Papier zur Geschichtsaufarbeitung mitgeschrieben. Die Partei und ihre Vorgängerin PDS, sagt Besier jetzt, habe »eine transitorische Funktion bei der Konsolidierung der Demokratie« im Osten der Republik gespielt. Er erinnert zugleich daran, dass die CDU, anders als deren Protagonisten in Sachsen glauben machen wollen, im Osten nicht mit der Revolution vom Himmel gefallen ist. Sie habe vielmehr im vergangenen Jahr »in ihren eigenen Reihen erleben müssen, wie es ist, wenn einen die Vergangenheit einholt«, heißt es in einer nur im Manuskript verbreiteten Passage von Besiers Rede. Er spielt damit auf die Debatten um die DDR-Vergangenheit von Ministerpräsident Stanislaw Tillich an, der als CDU-Politiker in Kamenz Vizevorsitzender des Rates des Kreises für Handel und Versorgung war, sich aber in Lebensläufen als Mitarbeiter der Kreisverwaltung bezeichnet hatte.

Öffentlich entfacht wurde die Debatte durch ein Buch des SPD-Abgeordneten Karl Nolle, der deshalb heftig angegriffen wird. Gestern stichelte FDP-Mann Torsten Herbst, er würde von dem in Hannover gebürtigen Nolle gern wissen, »wie sie sich zu DDR-Zeiten verhalten hätten«. Der »kalte Krieg der Erinnerungen«, so scheint es, geht also weiter – zum Teil mit neuen Gegnern.

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