Vom Komiker lernen

Theater Oldenburg: Uraufführung von »Ich, Heinz Erhardt«

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 3 Min.
Murat Yeginer als Ahmet
Murat Yeginer als Ahmet

Die Geschichte führt ins Goethe-Institut nach Istanbul. Im Rahmen eines Kurses zur Vorbereitung auf einen Einbürgerungstest für integrationswillige Türken stellt Ahmed, der türkische Fan des deutschen Komikers Heinz Erhardt, das Leben seines Idols vor – als ein Beispiel für »gelungene Integration« –, hatte doch Erhardt aus dem lettischen Riga kommend in Deutschland die Höhen der Beliebtheitsskala erklommen. Vor wenigen Jahren war er in einer Umfrage des ZDF nach dem beliebtesten Komiker der bundesdeutschen Geschichte auf den zweiten Platz gekommen (nach Loriot). Ahmet ruft Erhardts Lebensstationen in Erinnerung – von den ersten Auftritten bis zur Tragik des Schlaganfalls. Die Zuschauer, die Zeuge des Vortrags sind, werden ins Spiel mit einbezogen, üben gemeinsam mit dem Vortragenden die kunstvoll inszenierten »Missgeschicke«, beispielsweise das Herausstolpern auf die Bühne.

Zunächst aber erzählt Ahmed von seinem leiblichen Vater, der mit seiner kinderreichen Familie nach Deutschland gezogen war und in Castrop-Rauxel einen Teppichhandel aufgebaut hat. Die Gemeinsamkeiten mit dem Komiker werden immer offensichtlicher. Allmählich verschmelzen die beiden Väterfiguren und Ahmet versteigt sich zu der Behauptung, der leibliche Sohn von Heinz Erhardt zu sein. Am Ende verwandelt er sich – mit Kassenbrille und Seitenscheitel – in das Idol und rezitiert manche der unsterblich gewordenen Verse des ersten deutschen Comedians.

Originalzeugnisse von dessen schauspielerischen und dichterischen Leistungen sind zu sehen. Die Filmausschnitte stehen in einem wechselnden Spannungsverhältnis zu den beiden vorgestellten »Vätern«. Von Düffel stellt die wesentlichen poetischen Grundmuster der Erhardt-Texte vor. Zu hören sind die klassischen Versprecher, die kunstvollen Wortverdrehungen (»im Leben geht es natürlich zu, die Hose geht natürlich nicht zu«), die lakonisch-tiefsinnigen Weltbetrachtungen (»das Leben ist wie eine Brille, man macht viel durch«) oder die schaurig-tragischen Moritaten, wie die von der Made mit dem Kinde unter der Rinde, die mit dem Tod des Kindes endet, denn der Specht »fraß die fade Made ohne Gnade, schade«. Mit dieser Zeile wird Erhardts bekannte Technik des Binnenreims in Erinnerung gerufen, des mehrfachen Reims innerhalb einer einzigen Zeile.

Regisseur Ingo Putz macht das Verschmelzen der von Ahmet erinnerten Vaterfiguren sinnlich erfahrbar. Wird von den Autofahrten seines leiblichen türkischen Vaters durch Deutschland gesprochen, sehen wir auf einmal zu unserer Überraschung das Gesicht von Heinz Erhardt hinter der Frontscheibe. Wird von den Versprechern des Vaters bei einem Firmenfest in Deutschland berichtet, sehen wir auf der Leinwand über den Köpfen der Akteure den Komiker bei seinem berühmt gewordenen Versprecher »Klaschisses«.

Ahmet wird von dem türkischen Schauspieler und Regisseur Murat Yeginer dargestellt. Der hat hier ein »Heimspiel«, war zwanzig Jahre in Oldenburg Schauspieler und ist nun Schauspieldirektor in Pforzheim, weshalb die Aufführung, die in Zukunft abwechselnd in Oldenburg und Pforzheim gezeigt werden wird, als Koproduktion firmiert. Yeginer setzt auf seine Beliebtheit, denn er hat in Oldenburg im Laufe der Jahre unter anderen den Dorfrichter Adam und den Othello gespielt. Er flirtet mit dem Publikum, tobt durch die Reihen und verteilt Handküsse. Schließlich holt er den Autor John von Düffel auf die Bühne und lässt ihn den bekannten »Erhardt-Stolperer« probieren.

Seine stärksten Momente hat Yeginer, wenn er seine Sohnesliebe offenbart, wenn er mit beiden Vätern mitleidet. Sich in der Erhardtschen Spielweise zu versuchen, gelingt ihm natürlich nur bedingt. Da fehlt ihm die Doppelbödigkeit, diese Mischung von Tollpatsch und Schelm, Schalk und Philosoph. Aufgrund der Vertrautheit zwischen dem Protagonisten und dem Publikum wird dieser Abend trotzdem ein Erfolg.

Nächste Vorstellungen: 20., 27.11.

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