80 Gäste und ein Vier-Platten-Herd
Das Bremer Kulturdiner verbindet internationale Küche und Politik. Im Zentrum stehen die Probleme von Migranten
Kulturdiner, so heißt in Bremen ein Buffet mit internationalen kulinarischen Spezialitäten, kulturellen Darbietungen und politischen Informationen, mal über die politische Situation im Nigerdelta oder im Iran, mal über drohende Abschiebungen, zum Beispiel von Roma nach Kosovo, mal über das Grenzcamp auf Lesbos oder, ganz aktuell, über die anstehende Innenministerkonferenz. Diese kulinarisch-kultur-politische Mischung erfreut sich größter Beliebtheit.
Jeden ersten Donnerstag im Monat ist Subbotnik für die Karawane Bremen, und die kleine Küche des Kulturzentrums Paradox wird zur Großkantine. Es wird geputzt, geschnippelt, geköchelt, gebraten, gebacken, geschüttelt und gerührt. 60 bis 80 Gäste werden erwartet, die zu verköstigen mit einem ganz normalen Vier-Platten-Elektroherd ist gar nicht so einfach.
Manchmal muss ganz schön improvisiert werden, etwa beim Kulturdiner im Oktober. Der Kollege, der versprochen hatte, sich um das Büffet zu kümmern, war kurzfristig krank geworden. Mal eben ein Menü für so viele Personen aus dem Hut zu zaubern, ist eine echte Herausforderung.
Mike aus Nigeria und Katharina machten sich daran, Bulgur-Pilaw zuzubereiten, eine Art Risotto aus Weizengrütze, die in einigen Teilen der Türkei und in Kurdistan als typische Landesspeise gilt. Der Türke Metin guckte etwas skeptisch. Eine Deutsche und ein Nigerianer, die Bulgur-Pilaw kochen wollen? Inschallah!
Der Hochzeitstest
»Ich komme aus der Region Sivas«, erklärte Metin den beiden. »Dort gilt das als absolute Spezialität. Es heißt, bevor eine junge Frau heiraten dürfe, müsse sie erst einmal beweisen, ob sie Bulgur-Pilaw kochen könne.« Katharina und Mike ließen sich jedoch nicht beirren und produzierten eine nigerianisch-deutsche Ko-Produktion mit türkischen Lebensmitteln nach kurdischem Rezept. Adebin, immer noch skeptisch, probierte – und war beeindruckt. Die beiden hatten den Test mit Bravour bestanden, heiraten wollte er sie trotzdem nicht.
Das Kulturdiner ist ein Arbeitseinsatz der besonderen Art: Neben all dem Stress wird gewitzelt und gelacht, geklatscht und diskutiert. Sprachtalente haben die Nase vorn, ansonsten heißt es Radebrechen, und wenn es sein muss, Verständigung mit Händen und Füßen. Beim Bohnenschnippeln diskutierten Katharina, Ali aus dem Iran und Leyla aus dem Libanon auf Englisch die neuesten Ereignisse im Iran. Mike und Noelle unterhielten sich auf Yoruba, ihre nigerianische Muttersprache. Einige Romafrauen boten ihre Dienste als Küchenhilfe an. Die Romni sprechen Romanes. Metin versucht auf Russisch mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Er hat früher als Journalist unter anderem im Kaukasus gearbeitet und spricht 13 Sprachen, Romanes allerdings nicht. Russisch half auch nicht weiter, aber eine der Frauen sprach Türkisch, also war dieses Verständigungsproblem auch gelöst.
Bei der Karawane prallen Welten aufeinander, auch kulinarisch. Das gilt es auch bei der Zubereitung der Speisen zu beachten: Es müssen genügend vegetarische Speisen zubereitet werden, und aus Rücksicht auf die Muslime ist Schweinefleisch absolut tabu, und ansonsten muss das Fleisch geschächtet sein.
Die kulturelle Vielfalt spiegelt sich auf dem Büffet wider: fleischlose Speisen, Fisch-, Geflügel- und Fleischgerichte nach Rezepten aus aller Welt – oder auch frei erfunden. Salate und Gemüse, Beilagen wie Bulgur, Couscous, Reis und Fufu, eine Art Kartoffelbrei, der in fast allen afrikanischen Ländern als Beilage gereicht und je nach Möglichkeit aus Jamswurzeln, Maniok, Süßkartoffeln oder was sonst in der Region heimisch ist, zubereitet wird. Völlig unaufgeregt wird beim Kulturdiner seit Langem ganz selbstverständlich praktiziert, was hierzulande in der gehobenen Gastronomie als letzter Schrei gilt: Cross-Over-Küche, d. h. die Kombination von Zutaten und Rezepten aus Regionen kreuz und quer über den Globus.
»Die Idee des Kulturdiners entstand nach der Karawane-Tour 2002«, erläuterte Mike. »Eigentlich, um unsere Arbeit zu finanzieren. Flüchtlingsorganisationen haben keine besonders große Lobby oder gar reiche Sponsoren. Wir engagieren uns alle ehrenamtlich, trotzdem kostet die Arbeit Geld.« Als sich Monat für Monat immer mehr Gäste einfanden, wurde das Konzept ausgefeilt und die Aktion als kulinarisches Polit-Kultur-Event etabliert.
Auch politisch bunt
Heute ist das Kulturdiner aus der politischen Szene Bremens gar nicht mehr wegzudenken. So international wie die Speisen und das Programm, so bunt gemischt sind die Gäste: Studentinnen und Studenten, Aktive aus anderen antirassistischen Gruppen, aus internationalistischen Gruppen, aus Migrantengruppen, aus der Frauenbewegung, der Friedensbewegung.
Letztendlich sind auch beim Oktober-Diner alle satt geworden. Zurück blieb ein gutes Gefühl – und reichlich schmutziges Geschirr. »Eigentlich fängt die Arbeit jetzt erst richtig an«, sagte Mike seufzend und zeigte auf den Abwasch.
Zwar gibt es im Paradox eine Spülmaschine, doch auch die ist eine ganz normale Haushaltsmaschine und auf Großbetrieb nicht ausgerichtet. Also krempelten alle noch einmal die Ärmel hoch.
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