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Laut einer Studie hat jeder 14. deutsche Leistungssportler schon mal gedopt
Hat Claudia Pechstein gedopt oder nicht? Schweizer Richter meinen ja, Pechstein-Fans beharren auf dem Gegenteil. Eine schöne Methode zur Ermittlung der Verbreitung von Doping im Spitzensport hat der Mainzer Sportmediziner Perikles Simon gefunden.
Das »Randomized Response Verfahren« basiert auf einem Kartenspiel. Im Spiel befinden sich Karten mit harmlosen Fragen wie zum Geburtsdatum. Aber auch härtere Fragen nach Gesetzesbrüchen. Die statistische Verteilung von Ja- und Nein-Antworten erlaubt Aussagen auch zu den brisanten Fragen. Das Verfahren wurde bereits in den 50er Jahren erfolgreich in den USA angewendet, um Alkoholschmugglern auf die Spur zu kommen. Simon ermittelte jetzt eine erstaunliche Dunkelziffer von Sportlern, die schon gedopt haben. Bei einer anonymen Fragebogenaktion hatten zwar nur 0,2 Prozent der befragten Nachwuchskaderathleten Doping zugegeben. In der durch die Karten gestützten Interviewsituation waren dies jedoch 6,8 Prozent. Jeder 14. deutsche Leistungssportler dopt also laut dieser Untersuchung.
David Howman, Generalsekretär der World Anti-Doping Agency (WADA), der anlässlich eines Antidopingseminars kürzlich in Berlin mit dieser Studie konfrontiert wurde, war beeindruckt. »Wir gingen bisher von 1 bis 2 Prozent gedopter Sportler aus«, sagte er. Wenn allerdings bereits im Nachwuchsbereich des verhältnismäßig gut getesteten Sportlandes Deutschland die Quote bei 6,8 Prozent liegt, dürfte sie in weniger kontrollierten Regionen und im Profibereich wesentlich höher sein.
Simon, der neben seinen Forschungsaktivitäten auch eine sportmedizinische Klinik betreibt, berichtete aus seiner Praxis noch von anderen Doping-Indikatoren. »Im Alter zwischen 15 und 17 Jahren machen Sportler oft Leistungssprünge über 15 Prozent. Weil in späteren Jahren die Zuwachsraten trotz intensiveren Trainings wesentlich geringer ausfallen, sind sie enttäuscht. Immer häufiger treffen wir aber auf erwachsene Athleten, deren Leistungsvermögen vom Frühjahr bis zum Sommer eines Jahres um 20 Prozent ansteigt, im Herbst aber wieder auf das Frühjahrsniveau sinkt. Die Sportler, die sonst bei 2 Prozent Leistungsabfall nervös werden, nehmen diese immensen Schwankungen ungerührt hin«, sagte der Sportmediziner.
Physiologisch seien diese Muster nur auf Doping oder auf ernste Erkrankungen wie Krebs zurückzuführen, erklärte Simon. Bei solchen Werten sei ein Einschreiten von Betreuern und Ärzten absolut notwendig. Er hielt es zudem für ausgeschlossen, dass Trainer und Sportärzte Dopingpraktiken ihrer Schützlinge nicht bemerken könnten. Indes forderte Simon, auch das Umfeld eines gedopten Sportlers härter zu bestrafen.
Viel Gegenliebe fand der Forscher nicht. Innenstaatssekretär Christoph Bergner lehnte es ab, die Sportförderung der Bundesregierung an Dopingfälle zu koppeln und Sportarten, in denen Doping stärker verbreitet ist, in der Folgezeit weniger Geld zur Verfügung zu stellen. Bergner wies auf eine Antidoping-Zuwendungsklausel hin, die die Verbände zur Teilnahme an den Programmen der nationalen Antidopingagentur NADA verpflichtet. Doch dies ist nur ein Feigenblatt. Ein Malussystem bei Dopingfällen könnte den Trend, um jeden Preis Erfolge anzustreben, abschwächen.
Der Wille der Politik, dieses Ziel mit geeigneten Instrumenten anzugehen, scheint aber nur gering ausgeprägt. Bergner wandte sich außerdem gegen eine Verschärfung des Strafrechts bei Dopingvergehen. Eine gute Antidoping-Nachricht brachte das parallel zum Pechstein-Fall stattfindende Berliner Seminar aber doch. Wissenschaftler Simon wies einerseits auf das immense Potenzial von Gendoping hin. Ein eingeschleustes Epo-Gen könne laut Studien an Affen durch Beigabe von Antibiotika zu extremer Produktivität stimuliert werden. Andererseits sei die eingeführte Erbsubstanz leicht nachzuweisen. Simon hat dafür bereits ein Verfahren entwickelt. Im Kampf um die Zukunft des Sports liegt die Antidopingwissenschaft eine Nasenspitze in Führung.
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