Das Minarett im Dorf lassen
Das Ergebnis des Schweizer Volksentscheids verärgert und verängstigt Berliner Muslime
Es sollte eine Informationsfahrt für Journalisten über das islamische Leben in der Hauptstadt werden – und eben keine anlassbezogene Rundfahrt in einem kritischen Kontext. Doch nun überschlugen sich die Ereignisse: Der Schweizer Volksentscheid gegen den Bau neuer Minarette bestimmt seit dem Wochenende auch unter Berliner Muslimen die Debatte – und sorgt für Ärger und Ängste.
»Dieser Volksentscheid wirft uns um Jahrzehnte zurück«, meint Faical Salhi, der 1. Vorstandvorsitzender des Weddinger Interkulturellen Zentrums für Dialog und Bildung (IDZB) ist. Der studierte Elektrotechniker, der mit seinen eigenen Händen die sunnitische Moschee im IDZB am U-Bahnhof Osloer Straße mit aufgebaut hat, versucht seit längerem den Dialog zwischen Deutschen und Muslimen zu fördern. Im Gegensatz zu manch abgeschlossenem Hinterhofgebetsraum wird im IZDB nach eigenen Angaben Öffnung nicht nur bekundet, sondern auch praktiziert: Deutsch- und Integrationskurse stehen genauso auf dem Tagesplan wie Nachhilfeunterricht und Ausbildungsplatzsuche. Überdies finden in dem Zentrum Veranstaltungen zu Themen wie »Ehrenmord«, Zwangsverheiratungen oder Kopftuchverbot statt.
Das Zentrum hat sich über die Jahre durch seine Arbeit im Weddinger Kiez verankert, in dem viele Migranten mit ihren besonderen, vor allem sozialen Problemen leben. All diese Fortschritte könnten jetzt durch eine »Feindbild-Debatte« weggewischt werden, befürchtet Faical Salhi. Sei doch bereits jetzt eine anti-islamische Stimmung in der Mehrheitsgesellschaft spürbar, was sich etwa auch an brutalen Übergriffen auf eine Muslima wie vor kurzem in Göttingen zeige.
Auch in der nahegelegenen Haci-Bayram-Moschee und ihrem angeschlossenen Zentrum macht man sich angesichts des Schweizer Volksentscheids Sorgen. Hier residiert die 1980 gegründete Islamische Föderation Berlin (IFB). Ein Dachverband, der elf der circa 80 Berliner Moscheen verwaltet. Der stellvertretende Vorsitzende der IFB, Burhan Kesici, gilt als konservativ. Sein Verband zog bis zum Bundesverwaltungsgericht, bis er 2001 die Erlaubnis erhielt, in Berlin Islamunterricht an den Schulen geben zu dürfen.
Dass es in Deutschland eine Diskussion wie in der Schweiz geben könnte, glaubt Kesici zwar nicht. Da müsse man das Minarett im Dorf lassen. Dennoch gibt es die Sorge, dass Vereine die vorhandenen anti-islamischen Ressentiments aufgreifen könnten, um damit ihr parteipolitisches Süppchen zu kochen.
Das wäre auch insofern fatal, als dass besonders die sozialen Probleme ohnehin stark sind. Immer mehr muslimische Migranten leiden unter psychischen Problemen, die die Ausgrenzung in Deutschland mit sich bringt.
Als Sohn türkischer Gastarbeiter sieht Burhan Kesici deshalb einen Rollback: Schließlich seien die Migranten der zweiten Generation seiner Meinung nach in den 80er Jahren in Berlin wesentlich besser integriert gewesen als ihre Kinder und Enkel in der dritten und vierten Generation. Die latente Islamfeindlichkeit und die fehlende Akzeptanz in der Mehrheitsgesellschaft führe überdies zu der Tendenz, »dass sich auch Moscheegemeinden zurückziehen«, meint Kesici.
Eine solche Entwicklungen wollte Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening, dessen Verwaltung die Rundfahrt durch vier Moscheen organisiert hatte, gestern nicht erkennen. Piening hob stattdessen die gestiegene Transparenz, das gesellschaftspolitische Engagement im Kiez und die in den vergangenen Jahren gestiegene Bedeutung der deutschen Sprache in den muslimischen Gemeinden hervor. »Es sind nicht Minarette, die das demokratische Zusammenleben bedrohen. Gefährdet wird es durch Gruppen, die die Grundrechte wie das auf Religionsfreiheit für bestimmte Bevölkerungsgruppen einschränken möchten«, erklärte der Integrationsbeauftragte.
Islam in Berlin
In der Hauptstadt lebten im Jahr 2006 über 220 000 Menschen mit muslimischem Glauben. Die größte Gruppe aus einem islamisch geprägten Staat waren türkische Zuwanderer und ihre hier geborenen Kinder. Weitere Migranten aus islamisch geprägten Ländern kommen aus dem Iran, Libanon, Ägypten, Irak, Indonesien, Syrien, Pakistan, Jordanien, Tunesien und Marokko.
Es gibt rund 80 Moscheen in Berlin, in denen je nach Zugehörigkeit die verschiedenen Ausrichtungen des islamischen Glaubens gelehrt werden. 50 Prozent der Moscheevereine gehören einem der islamischen Dachverbände an, 50 Prozent sind unabhängig. Auch fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung sind über 90 Prozent der Gebetsräume im Westteil Berlins.
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