Millionen Euro für eine unsinnige Betonpiste
Die Verlängerung der Berliner Stadtautobahn A 100 vom Autobahndreieck Neukölln zum geplanten Autobahnanschluss Am Treptower Park ist Teil eines Ring- und Radialstraßensystem, das nach dem Zweiten Weltkrieg für Gesamtberlin geplant wurde. Ein Bestandteil dieser autoorientierten Verkehrsplanung ist der sogenannte Mittlere Straßenring, die heutige Stadtautobahn. Zu diesem gehören auch der 16. Bauabschnitt (BA) der A 100 bis zum Treptower Park sowie die weitere Planung zur Frankfurter (17.BA) und Landsberger Allee, an deren Realisierung die Verkehrsverwaltung weiter festhält.
Im Jahr 2009 kann ein solches Projekt natürlich nicht mehr mit verbesserten Bedingungen für den Autoverkehr begründen werden. Stattdessen setzt die Verkehrssenatorin in ihrer öffentlichen Argumentation besonders auf vermeintliche Entlastungseffekte, die der Bau der Stadtautobahn bewirke. Allerdings funktioniert dieses, nur auf den ersten Blick logische Argument allein dadurch, dass Verkehr von der einen auf eine andere Straße verlagert wird. Am Ende der Autobahn entstehen dann jedoch neue Belastungen. Eine wirksame Entlastung könnte nur durch Sperrung oder Rückbau der zu entlastenden Straßen erreicht werden. Eine Sperrung des Adlergestells kommt wohl nicht in Betracht, und für den Rückbau fehlt der Stadt das Geld.
Sehen wir uns die angeblich so großartige Entlastung durch den 16. BA genauer an. Der größte Verkehrsrückgang ist in der Grenzallee, einem Gewerbegebiet, zu verzeichnen. Deutliche Reduzierungen sind im Neuköllner, weniger deutliche im Treptower Teil des Dammweges vorhergesagt. Reduzierungen sind in der Köpenicker Landstraße und Am Treptower Park prognostiziert. Diese werden allerdings bei Realisierung des 17. BA wieder deutlich kleiner. Weitere Reduzierungen gibt es auf der unbewohnten Bulgarischen Straße und der Puschkinallee im Treptower Park.
Aber trotz dieser vorhergesagten Verringerung von Verkehr können die Zielwerte der Lärmminderungsplanung nicht eingehalten werden. Diesen Entlastungen stehen Belastungen an den Zufahrtsstraßen zur Autobahn, in der Sonnenallee und der Elsenstraße, entgegen. Der vorhergesagte, zusätzliche Verkehr auf der Sonnenallee wird wie in der Elsenstraße kaum zu bewältigen sein. Diese Staustellen werden ortskundige Autofahrer über Nebenstraßen in Neukölln und Alt-Treptow umfahren. Belastungszunahmen werden am Ende der Autobahn über die Elsenbrücke, Stralauer Allee, Markgrafendamm für die dicht bebauten Gründerzeitquartiere in Friedrichshain-Kreuzberg von offizieller Seite vorhergesagt. Neben dem Wrangelkiez sind sowohl der Rudolfkiez als auch das Boxhagener Viertel von der Blechlawine betroffen. Das Boxhagener Viertel sollte eigentlich durch Lärmminderungsmaßnahmen beruhigt werden.
Neben dem Entlastungsargument wird gern von Wirtschaftsaspekten gesprochen. Die Bauwirtschaft mag durch den Bau der Autobahn Aufträge erhalten. Doch was darüber hinaus für die Berliner Wirtschaft herauskommt, bleibt unklar. Vermeintliche Fahrzeitverkürzungen sind ähnlich ambivalent wie die Entlastungswirkung. Einer Fahrzeitverkürzung auf der Autobahn stehen Staueffekte in der Elsenstraße oder der Sonnenallee entgegen. Das Neuköllner Gewerbegebiet um die Grenzallee verliert seinen direkten Anschluss an die A 100 und man muss künftig Umwege zur Sonnenallee oder Buschkrugallee in Kauf nehmen.
Aber es gibt auch eine Vielzahl von direkt Betroffenen. So werden Überschreitungen der Tagesgrenzwerte beim Feinstaub in der Sonnenallee, Elsenstraße, Markgrafendamm und Stralauer Allee für das Jahr 2025 vorhergesagt. In der Elsenstraße kommen noch Überschreitungen von Stickstoffdioxid hinzu. 200 Wohnungen in der Beermannstraße sollen abgerissen werden. Die Bewohner müssen sich andere Wohnungen suchen, was neben anfallenden Kosten auch nachbarschaftliche und soziale Verluste bedeutet. Auch Gewerbetriebe müssen umziehen. Grundstücksbesitzer verlieren ihr Eigentum, was in Einzelfällen schon jetzt deren Existenz gefährdet. Gut 350 Kleingärten werden planiert – das bedeutet gerade für viele ältere Kleingärtner eine radikale Lebensumstellung, weil sie sich keinen neuen Kleingarten mehr aufbauen können. Der Verlust zahlreicher Biotope führt zur Verdrängung von zum Teil geschützten Tierarten. Zusätzliche Bodenversiegelung und damit der Verlust von Freiflächen sowie die Fällung von 600 Bäumen wird das Stadtklima negativ beeinflussen.
Die Verlängerung der A 100 ist ein Relikt der Vergangenheit, das angesichts der heutigen Herausforderungen durch Klimawandel und Ressourcenverknappung, durch demografischen Wandel und neuste Erkenntnisse zum Gesundheitsschutz vor Lärm und Abgasen keine nachhaltige Lösung darstellt. Sie löst keine Verkehrsprobleme und stellt gravierende Eingriffe in die Stadtstruktur sowie Belastungen und Verluste für die Bewohner im Umfeld der Autobahn dar. Nicht zu vergessen sind die enormen Kosten für diese Betonpiste mit Gesamtkosten von 444 Millionen Euro für 3,2 Kilometer.
Die BISS begrüßen die Haushaltssperre der rot-roten-Koalition als ein politisches Signal, dass die Regierungsfraktionen das Regierungsprojekt A 100 nicht mittragen. Ein Ende der Planung bedeutet diese Sperre allerdings noch nicht! Wir und die anderen Akteure des Anti-A 100-Bündnisses werden unsere Arbeit ohne Unterbrechung weiterführen, bis diese Planung endgültig eingestellt ist.
Harald Moritz, Jahrgang 1957, war in der DDR in Friedens- und Umweltgruppen politisch aktiv. 1990 bis 1999 war er Bezirksverordneter für Bündnis90/Die Grünen im Berliner Bezirk Treptow mit dem Schwerpunkt Stadt- und Verkehrsplanung und von 1992 bis 1999 Vorsitzender des Treptower Verkehrsausschusses. Seit 1990 ist Harald Moritz Mitglied der »Bürgerinitiative Stadtring Süd« (BISS).
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