Ein guter Ort in Mitte, der viel Geschichte erzählt

Historische Grabsteine aus dem 17. und 18. Jahrhundert kehrten auf den jüdischen Friedhof zurück

  • Andreas Heinz
  • Lesedauer: 3 Min.
Rabbiner Tovia Ben-Chorin erzählt die Geschichte der Grabsteine auf dem alten jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße. – Auch der in Dessau geborene Philosoph Moses Mendelssohn ist hier bestattet.
Rabbiner Tovia Ben-Chorin erzählt die Geschichte der Grabsteine auf dem alten jüdischen Friedhof in der Großen Hamburger Straße. – Auch der in Dessau geborene Philosoph Moses Mendelssohn ist hier bestattet.

Das Areal in der Großen Hamburger Straße im Bezirk Mitte ist voller Geschichte. Hier, auf dem 1672 angelegten ältesten jüdischen Berliner Friedhof sind viele Persönlichkeiten begraben: der Bankier Veitel Heine Ephraim (1703 bis 1775), der Münz- und Silberkaufmann Daniel Itzig (1725 bis 1799), der Arzt Marcus Herz (1747 bis 1803), Jacob Herz Beer (1769 bis 1825), Vater des Komponisten Giacomo Meyerbeer, und der Philosoph Moses Mendelssohn (1729 bis 1786). Lange Zeit war dort nur eine verwucherte Grünfläche zu finden – gestern unternahmen Vertreter der Jüdischen Gemeinde, des Landesdenkmalamtes und des Senats einen ersten Rundgang nach Sanierung des Friedhofs und Restaurierung von 20 Grabsteinen aus dem 17. und 18. Jahrhunderts – alte Zeugnisse jüdischer Kultur.

»Ein Friedhof ist für uns ein guter Ort«, sagte die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, Lala Süsskind. Auch wenn gerade an diesem Ort viel Furchtbares geschehen sei, müsse man immer wieder an das Gute im Menschen glauben.

Der 1827 geschlossene Friedhof sei später von der Gemeinde gepflegt und von den Bewohnern des benachbarten 1844 eröffneten jüdischen Altenheims als Stätte der Erholung genutzt worden. »Ab 1942 deportierten die Nazis von diesem Altenheim aus 50 000 Juden in die Konzentrationslager«, erinnerte Süsskind. »Der Friedhof wurde geschändet, die Grabsteine wurden zerstört und zur Anlage von Splittergräben missbraucht. In den letzten Kriegstagen bestattete man hier zivile Bombenopfer, aber auch SS-Angehörige.«

Jüdische Friedhöfe seien Archive, die viel Geschichte erzählten, so der Rabbiner der Synagoge in der Pestalozzistraße, Tovia Ben-Chorin. »Jüdische Menschen sind eine Minorität, die sich immer wieder integrieren wollten, ohne ihre Identität zu verlieren«, betonte der 73-Jährige. Bevor Ben-Chorin das Totengebet Kaddisch in aramäischer Sprache vortrug, erinnerte er mit Versen der israelischen Dichterin Selda an die Toten: »Jeder Mensch hat einen Namen, der ihm von Gott gegeben wurde, den ihm gaben sein Vater, seine Mutter. Jeder Mensch hat einen Namen, den ihm gaben seine Statur, sein Lächeln, den ihm gab das Gewebte«. Das Gedicht endet mit den Zeilen: »Jeder Mensch hat seinen Namen, den ihm gab das Meer, den ihm gab sein Tod«.

Der in der Großen Hamburger Straße angelegte Friedhof sei 1672 von aus Wien vertriebenen Juden angelegt worden, erklärte der stellvertretende Landeskonservator Klaus Henning von Krosigk. Aus diesem Gründungsjahr stamme auch der älteste Grabstein eines Wiener Rabbiners. Insgesamt 20 Steine wurden gerettet und für 26 000 Euro restauriert und konserviert. Die Kosten übernahmen je zur Hälfte die Jüdische Gemeinde und das Landesdenkmalamt. Vor der Konservierung seien die verwitterten Grabsteine auf den jüdischen Friedhof in Weißensee gebracht und dort geschützt gelagert worden, berichtete Kulturstaatssekretär André Schmitz. Im Eingangsbereich wurden zwei Grabsteine aus den Jahren 1675 und 1694 aufgestellt. Auf diese Weise solle der Charakter des »guten Ortes« im Stadtbild präsent gemacht werden, sagte Lala Süsskind. Schätzungsweise 12 000 Menschen wurden auf diesem Friedhof bestattet.

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