Beschwingt über den Tellerrand
Die Tanztage Berlin präsentieren bis 13. Januar den Choreografie-Nachwuchs
»Zehn tolle Tage mit vielen jungen Künstlern, die sich untereinander noch gar nicht kennen und einige schöne Überraschungen« erwartet Peter Pleyer von den am 3. Januar eröffneten Tanztagen. Pleyers Erwartung ist durch Erfahrung gedeckt. Schließlich kuratiert er das Berliner Tanzfestival in den Sophiensaelen. Leitmotiv der diesjährigen Ausgabe (3.-13.1.) ist die zunehmende Internationalisierung. Waren die Tanztage lange Zeit vor allem ein Schaufenster der Berliner Künstler, so richtet Pleyer seine Aufmerksamkeit nun über die Stadtgrenzen hinaus. »Nationale und internationale Koproduktionspartner werden immer wichtiger. Die Zusammenarbeit mit ihnen ermöglicht es Berliner Künstlern, ihre Arbeiten auch woanders zu zeigen. Andererseits wollen wir Plattform für Künstler sein, die ihrerseits neu nach Berlin kommen.«
Berlin übt auf viele Tänzer und Choreografen weiterhin eine Magnetwirkung aus. Weil Pleyer dabei aber eine Ost-West-Ungleichheit aufgefallen ist, haben die Tanztage in diesem Jahr eine starke polnische Komponente. »Für Choreografen aus Westeuropa oder den USA ist Berlin als Lebensmittelpunkt vergleichsweise billig. Künstler aus Polen, Ungarn, Tschechien oder der Slowakei scheitern aber oft schon an der Fahrkarte. Berlin ist trotz der geografischen Nähe für sie eine westeuropäische Metropole, die sie sich nicht leisten können.«
Pleyer bietet daher drei polnischen Choreografinnen eine Plattform. Sie gehören zum Produktionsverbund Stary Browar in Poznan. Das alte Brauereigebäude ist im Verlaufe nur weniger Jahre von der Leiterin Joanna Lesnirowska zu einem Mekka des zeitgenössischen Tanzes ausgebaut worden. »Poznan ist so nah, aber trotzdem wissen nur die wenigsten Berliner Künstler, was dort entsteht«, meint Pleyer. Eröffnet wurden die Tanztage von einem Doppelprogramm von Johanna Chemnitz und Sonja Pregrad (»Dishevelled«) sowie Stina Nyberg (»A White Rhythm Section«). Beide Produktionen setzen sich eher analytisch mit Bewegungsphänomenen auseinander. »Dishevelled« spielt mit dem Gegensatzpaar von Schärfe und Unschärfe. Das Duett »A White Rhythm Section« nimmt den Sprung auseinander. Das Eröffnungsprogramm wird heute Abend 20.30 Uhr wiederholt.
Im Programm der insgesamt 21 Produktionen, darunter sieben Premieren, fällt die Abwendung von der Narration auf. Waren frühere Tanztage von erzählerischen Momenten geprägt, so überwiegt jetzt der diskursive Ansatz. Festivalchef Pleyer hat nicht extra unter diesem Gesichtspunkt nach Künstlern gesucht. »Das ist Zufall. Es spiegelt aber dennoch eine aktuelle Tendenz wieder. Wer sich einen Namen machen will weiß, dass dies derzeit der aussichtsreichste Weg ist«, meint er. Fördergremien bevorzugen diese Ansätze.
Ebenso in Mode ist derzeit die künstlerische Alltagserkundung. Beatrice Fleischlin und Anja Meser stellen in »Come On Baby Let's Go« (4. und 5.1.) aktuelle Männerstudien an. Sonia Delbost-Henry und Lea Helmstädter entnehmen die Anregung zu ihrem Stück »Im Park« den Beobachtungen, die der Dichter Georg Trakl in diesen städtischen Naturnachbildungen angestellt hat, lassen aber auch eigene Wahrnehmungen einfließen (6., 7.1.). Ein besonderes Format stellt »At Once« dar. Die Choreografin Deborah Hay erarbeitete mit verschiedenen Tänzerinnen ein Solo- Projekt. Wenn die Tänzerin an dieser Choreografie drei Monate lang täglich arbeitet, darf sie sie der Öffentlichkeit vorstellen. Marcela Donato präsentiert am 9. und 10.1. ihre Variante dieses Franchising- Konzepts.
Das neue Jahr beginnt in Berlin also mit einem dichten, intensiven und abwechslungsreichen Tanzfestival. Das ist ein gutes Omen für das einstige »Agenda«-Jahr.
Bis 13.1., Sophiensaele
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