Proben im Fünf-Sterne-Loft

Die neuen Eden-Studios in Berlin-Pankow bieten der freien Tanzszene Raum zur Entfaltung

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Berliner Tänzer und Choreografen sind es gewohnt, immer wieder als kreative Aushängeschilder gebraucht zu werden. Im Gegensatz zu denen, die sie präsentieren und dabei meist in Top-Lagen residieren, müssen die Künstler sich allerdings häufig mit erbärmlichen Produktionsinfrastrukturen zufrieden geben. Das, was so gern gefeiert wird, entsteht nicht selten in dunklen Hinterhofstudios.

Für einige Kreative brechen nun jedoch neue Zeiten an. In Pankow, dem in den Dornröschenschlaf versunkenen früheren Künstlerviertel am Nordrand Ostberlins, stehen seit kurzem zwei schmucke gläserne Kästen. Sie wirken wie direkte Abkömmlinge von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie. Befindet sich jener Kunsttempel mitten in der Stadt, so sind die beiden neuen Gebäude auf einem mit Baum und Strauch bedeckten Areal in der Peripherie versteckt.

Die Idylle trägt den Namen Eden. Fünf Sterne hinter dem Namen künden von den luxuriösen Ambitionen, weisen aber auch auf die fünf Studios in den beiden Glaskästen hin. 300 Quadratmeter fasst das größte, je 150 haben die beiden Studios darüber im Haus 1. Auf je 180 Quadratmeter bringen es die Studios im Haus 2. Alle Räume sind vom Sonnenlicht durchflutet. Die Strahlen, die die Haut berühren, wirken umgehend als Stimulanz. Der Körper tanzt von ganz allein. Seinem Bewegungsdrang sind keine Hindernisse gesetzt.

Trotz ihrer Größe sind die Studios nicht von Säulen unterteilt. Die Decke erhebt sich so hoch über den Köpfen, dass alle Energien frei strömen können und die Proportionen der Fläche noch in der Höhenachse gewahrt bleiben. Von innen blickend, breitet sich vor den Fenstern eine grüne Oase aus. Wer Produktionsstätten auf dem Land wie Schloss Bröllin kennen- und schätzengelernt hat, wird hier deren Vorzüge – Lage im Grünen, Platz zum Arbeiten, Rückzugs- und Erholungsmöglichkeiten – noch um den Vorteil der Nähe zum urbanen Zentrum übertroffen finden.

Denn obgleich man sich, sobald man das Gelände betreten hat, ganz fern von den Zumutungen der Großstadt fühlt, ist man doch nur wenige S- und U-Bahn-Stationen vom pulsierenden Herz der Metropole entfernt.

Zu verdanken ist dieses Kleinod Wibke Janssen und Kirsten Seeligmüller. Die Gründerinnen und Betreiberinnen der Tanzplattform Dock 11 in Prenzlauer Berg hatten sich zunächst des verwaisten Kulturhauses Pankow und der Villa Garbàty angenommen, die an der Stirnseite des Grundstückes liegen. Die Übernahme verlief nicht konfliktfrei, vor allem mit den Betreibern der in der Blues- und Jazzszene beliebten Musikkneipe »Café Garbàty«, die sich in der Villa befand, gab es harsche Auseinandersetzungen. Janssen und Seeligmüller öffnen ihre Räume jedoch ausdrücklich auch Pankower Künstlern und Bürgern und erhoffen sich dadurch Akzeptanz.

Die neuen Studios wollten sie ursprünglich in der nahe gelegenen früheren Garbàty Zigarettenfabrik errichten. Unter Federführung der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« war dort ein neues kreatives Zentrum geplant. Nach einer kulturpolitischen Posse sind nun aber weder die Busch-Hochschule noch das Dock 11 auf dem Gelände angekommen; vielmehr erweitert jetzt eine Wohnsiedlung den herkömmlichen Siedlungsbrei.

Für das Dock 11 und die neuen Eden-Studios war dieses Scheitern allerdings ein Glück. Denn erst im Nachhinein hatte sich herausgestellt, dass auf dem Park hinter dem Kulturhaus doch gebaut werden durfte. Mit einer Förderung von 1,56 Millionen Euro durch die Stiftung Klassenlotterie entstanden binnen zweier Jahre die Studios. Geprobt haben bislang u.a. Meg Stuart, Laurent Chétouane, Nir de Volff, die Produktion »Love hurts …. Petrushka« und Tomi Paasonen. Außerdem begann der regelmäßige Tanzkursbetrieb für Kinder und Erwachsene. Den alten Standort des Dock 11 in Prenzlauer Berg betreiben Janssen und Seeligmüller weiterhin.

Von der technischen Ausstattung her könnten die Eden-Studios auch als Aufführungsstätten genutzt werden. Für einen regelmäßigen Spielbetrieb fehlt aber das Geld. »Hätten wir die Konzeptförderung erhalten, würden wir 200 000 Euro als Gagen für die Künstler zur Verfügung stellen. Wir haben es satt, die Künstler immer nur auf 70/30-Basis auftreten zu lassen«, erklärt Seeligmüller.

Das für die Verhältnisse der freien Szene enorme Bauprojekt hat bei den Dock-11-Betreiberinnen die Widersprüche innerhalb des Berliner Kreativlebens noch deutlicher werden lassen: Handwerker und Architekten werden nach Tarif bezahlt, Choreografen und Tänzer müssen mit dem auskommen, was übrig bleibt.

Nicht nur wegen des neuen wirtschaftlichen Ansatzes ist es schade, dass Dock 11 und Eden-Studios keine Konzeptförderung erhalten haben. Auch Zuschauer sollten schließlich unmittelbar von den neu geschaffenen Häusern profitieren dürfen.

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