Der Vorteil des frischeren Kopfes

Bei den Nordischen Kombinierern dominieren in Oberhof die Rückkehrer Hannu Manninen und Felix Gottwald

  • Oliver Händler, Oberhof
  • Lesedauer: 4 Min.
Hannu Manninen (Nr. 8) greift den Franzosen Jason Lamy Chappuis an. Fotos: dpa
Hannu Manninen (Nr. 8) greift den Franzosen Jason Lamy Chappuis an. Fotos: dpa

Am 1. März 2009 kam Felix Gottwald von der Nordischen Ski-WM in Liberec nach Hause. Er hatte keinen einzigen Sprung von der Schanze absolviert, war keinen einzigen Wettkampfkilometer in der Loipe unterwegs. Stattdessen hatte er geredet, ins Mikrofon des ORF hinein. Als Experte bewertete er nach seinem Karriereende die Leistungen derjenigen, mit denen er so viele Jahre um Platzierungen gekämpft hatte, und es nagte an ihm. Am 2. März stieg er wieder auf die Ski. Ein Jahr hatte er Pause gemacht. Nun ist er wieder da. Nach Platz zwei in der Ramsau wurde er auch bei den beiden Weltcuprennen in Oberhof zweimal Zweiter. Und er ist nicht der einzige mit solchen Leistungen.

Angestiftet zum Comeback wurde Gottwald offenbar von Todd Lodwick. Auch der US-Amerikaner hatte ein Jahr lang pausiert, kam zurück und holte bei den WM in Liberec zwei Goldmedaillen. »Also hab ich wieder angefangen zu trainieren. Erst eine Woche, dann noch eine, dann noch eine. Und es hat mir immer noch Spaß gemacht. Eigentlich sogar mehr als zuvor«, erinnert sich Gottwald an diese Tage im März 2009. »Da habe ich mich gefragt, warum ich eigentlich nicht das mache, was mir so viel Spaß macht. Eine intelligente Antwort ist mir nicht eingefallen«, sagt Gottwald.

Der Doppelolympiasieger von Turin ist nicht der einzige erfolgreiche »Alte«, der gemerkt hat, dass er nicht genug bekommt von der Nordischen Kombination. Rekordweltcupsieger Hannu Manninen hatte ebenfalls seine Karriere beendet und eine Ausbildung zum Piloten begonnen. Beim Finnen begann das Kribbeln im August. »Das ist wirklich spät für den Trainingseinstieg in eine Olympiasaison«, sagt er, »aber dieses Comeback läuft wirklich perfekt«, staunt der erfahrene Altmeister.

Die beiden schon immer laufstarken Athleten überzeugen vor allem auf der Schanze mit bislang ungekannter Konstanz. »Das überrascht mich schon«, sagt der deutsche Sprungtrainer Andreas Bauer. »Scheinbar wirken nach einer langen Pause die Trainingsreize wieder besser.« In der Loipe konnten beide scheinbar spielend Anschluss finden. In Oberhof waren Gottwald und Manninen sogar die Stärksten. Manninen gewann das erste Rennen am Sonnabend vor Gottwald, der am Sonntag einen zweiten Rang folgen ließ, diesmal hinter dem US-Amerikaner Johnny Spillane. Auch der Weltmeister von 2003 war im Sommer und Herbst, wenn andere die Grundlagen für den Winter legen, drei Monate zum Nichtstun gezwungen. Zwei Operationen hatte er sich unterzogen, im Nachhinein ein Glücksfall, wie er sagt. »So hatte mein geschundener Körper endlich mal Zeit zu heilen«, sagt Spillane.

Die deutschen Athleten haben keine lange Pause gemacht. Sie sind zwar nicht weit weg von der Spitze, aber beim Laufen sind ihnen Manninen, Spillane und Gottwald derzeit einen Tick voraus. Björn Kircheisen (Johanngeorgenstadt) kann noch am besten mithalten, wurde aber im Sprint am Samstag nach beherztem Rennen klar geschlagen. So versuchte er einen Tag später eine andere Taktik: Er ließ sich von Gottwald einholen und hängte sich in seinen Windschatten. Die Hoffnung, ihn auf der Zielgerade zu überspurten verflog jedoch 500 Meter vor dem Ziel, als sich Gottwald absetzte. Immerhin sorgte Kircheisen mit Platz drei für den einzigen Podiumsplatz der deutschen Kombinierer am Oberhofer Wochenende.

»Felix ist derzeit der stärkste Läufer, das wollten wir ausnutzen«, beschrieb Bundestrainer Hermann Weinbuch die Taktik, die doch nicht aufging. Trotzdem ist Weinbuch mit seinen Vorzeigeathleten Kircheisen, Tino Edelmann (Zella-Mehlis) und Eric Frenzel (Oberwiesenthal) zufrieden. Ein vierter Mann für die Olympiastaffel fehlt ihm noch. Hier hatte Weinbuch auf einen Formanstieg von Ronny Ackermann gehofft, doch der fiel mal wieder einer Krankheit zum Opfer. Nach passablen Sprüngen stieg der Dermbacher beim ersten Rennen vorzeitig aus und trat zum zweiten gar nicht an. Für Ackermann wird die Zeit knapp, da er noch nicht einmal die halbe Olympianorm in der Tasche hat. Im Gegensatz zu Björn Kircheisen, der grübelt, warum ihm Gottwald regelmäßig davonläuft. »Vielleicht geht er das Ganze viel ruhiger an, sieht es aus einem anderen Blickwinkel. Wenn man ein Jahr weg ist, sieht man diese Rennen vielleicht nicht mehr ganz so verbissen wie wir.« Gottwald gibt ihm Recht: »Ich nehme nicht mehr alles so ernst und so habe ich mehr Spaß. Da haben Hannu und ich den Vorteil des frischeren Kopfes, und der macht vieles einfacher.«

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