Im unsichtbaren Käfig
»Softgun« im Theater an der Parkaue plädiert, gewalttätige Jugendliche nicht abzuschreiben
Ist es nicht zu simpel? Können Liebe und helfende Regeln im richtigen Moment das Leben eines Heranwachsenden, der körperlich Mann wird und im Kopf noch ein Kind ist, auf einen guten Weg bringen? Der Schwede Mats Kjelbye hält selbst Ed, die Titelfigur seines Einpersonenstücks »Softgun«, für noch nicht verloren, sagte er in einem Interview. Obwohl ausgeübte und selbst erfahrene Gewalt die Geschichte des jungen Mannes prägen. Irgendetwas Kindliches sei da noch nicht zerstört worden. Mit zwölf Jahren Leben konfrontiert das Stück zur Jugendgewalt Zuschauer ab 15 Jahren im Theater an der Parkaue in 70 Minuten.
Am Ende ist Ed 22, hat im Knast gesessen, weil er Spaß daran fand, Kinder und Rentner mit seiner Softgun zu beschießen. Inzwischen sieht er Gewalt nicht mehr als Lösung von Problemen. Nun kehrt er in die Welt zurück, aus der er kam und wird von denen, die mal seine Freunde waren, halb tot geschlagen. Seine frühe Erkenntnis »Es gibt immer einen, der stärker ist als du« ist nach wie vor gültig. Das bleibt.
Johannes Hendrik Langer spielt Ed. Es ist so viel Einsamkeit in dieser Inszenierung, dass einen das Gefühl beschleicht, alle Theatermitarbeiter hätten die Tür von draußen zugemacht. Aber natürlich sind die guten Geister, die man nie sieht, wie immer da. So begleitet den Spielenden klug eingesetztes Licht von Christian Rösler und raffiniert eingebaute Filmtechnik. Ed ist nicht nur im Knast gefangen, sondern auch in seinen eigenen Vorstellungen und Erinnerungen. Er sagt, er habe den Tunnelblick. Das Bühnenbild von Constanze Fischbeck verstärkt das Isolationsgefühl. Zum Schluss wagt sich Ed weiter aus seinem sichtbaren und unsichtbaren Käfig heraus.
Regisseur Sascha Bunge wählte Johannes Hendrik Langer mit gutem Blick aus dem Ensemble des Jugendstaatstheaters Berlin für diese Rolle. Der Schauspieler, 1985 geboren, kann den Pubertierenden, sogar das naive Kind sehr gut und glaubwürdig spielen. Das sah man beispielsweise in dem Stück »Keine Schule mehr« und auch in »Kopf oder Zahl« kann man sich noch davon überzeugen. Drahtig, wie ein Raubtier auf dem Sprung, gibt er hier den Gewaltbereiten.
Bunge lässt ihn zu Beginn mit einem »Die-ganze-Welt-kotzt-mich-an-Gesicht« dem Publikum gegenübertreten, an das sich der Schauspieler im Monolog immer wendet. Er lässt ihn trotzig abweisend erscheinen und so schnell und schlampig sprechen, dass es einige Minuten dauert, bis man sein Gehör auf Ed eingestellt hat. Nein, die Ohren sind in Ordnung. So sprechen Jugendliche seines Schlags.
Aber es ist ein Spiel. Langer wird zwischendurch daran erinnert und bekommt zu spüren, dass er jemanden verkörpert, in dessen Welt er nur zu Besuch ist. In einer Szene holt er sich einen jungen Mann auf die Bühne. Der Asiate verschließt sich sofort, lässt kaum Verlegenheit erkennen, ahmt einige Gesten des Schauspielers nach. Er geht auf das Spiel ein und stellt sich der Bühnenfigur Ed von der ersten Sekunde an mit stiller Aggressivität. Als Langer ihn wieder auf den Zuschauerplatz entlässt, murmelt er »Es gibt immer einen, der stärker ist als du«.
Als Ed den Knast mit 22 Jahren verlässt, bringt er alles »auf Kante«. Korrekt ordnet er zwei Hocker auf dem Tisch an. Korrigierend streicht er über sein Bett. Er hat jetzt Regeln gelernt, die er weiter wie Haltegriffe benutzen will. Denn ihm sind Menschen wie ein Kommissar begegnet, die ihn noch nicht für verloren hielten. Über diese Brücke will er gehen. Bei Tieren ist es so, dass Liebe und Regeln in den ersten Lebenswochen das Verhalten im weiteren Leben grundsätzlich prägen. Warum also nicht Mats Kjelbye folgen, der das Streicheln im richtigen Moment präferiert? Ein Mensch wird unschuldig geboren. Gutes kann man ihm nicht einprügeln.
11. u. 14.1., 19 Uhr, 12., 13., 15.1., 10 Uhr, 22.1., 18 Uhr, Theater an der Parkaue, Parkaue 29, Lichtenberg, Telefon: 55 77 52-0, www.parkaue.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.