Gefragt wie eh und je: Wahrsager

Wirtschaftskrise kann »Magiern« und anderen Scharlatanen in Italien nichts anhaben

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.

Jeden Tag gehen 33 000 Menschen in Italien zu Magiern, Kartenlesern, Astrologen und anderen Scharlatanen. Insgesamt sind es etwa 11 Millionen Menschen, 18 Prozent der Bevölkerung. Und die Wirtschaftskrise kann diesem »Industriezweig« rein gar nichts anhaben.

»Ist Ihre Partnerschaft nicht mehr vital? Suchen Sie einen Menschen, den Sie vor vielen Jahren aus den Augen verloren haben? Magier Letterius (ich habe in Nazareth, im Heiligen Land studiert!) beherrscht die Annäherungsrituale, die Sie brauchen!«.

Andere »Magier« haben sich darauf spezialisiert, den »bösen Blick« abzuwenden und wieder andere bieten auch per Telefon die richtigen Zahlen an, um große Summen im Lotto zu gewinnen. Die Preise variieren je nach »Dienstleistung«: 15 Minuten kosten etwa 30 Euro, ausführlichere Beratungen entsprechend mehr.

Das alles macht einen geschätzten Jahresumsatz von 6 Milliarden Euro – und etwa 99 Prozent davon geht an der Steuer vorbei. Die Werbung für die rund 155 000 »Sensitiven« und »Engelsflüsterer«, die es in Italien gibt, ist stark zurückgegangen, seit mehrere Gerichtsurteile sie wegen Volksverdummung und Vortäuschung falscher Tatsachen verboten haben. Aber gerade im Internet findet man problemlos die »richtigen Adressen« und außerdem funktioniert die Mundpropaganda unter den potenziellen Kunden hervorragend.

Unter den Kunden sind 51 Prozent Frauen. Sie leben in erster Linie im reichen und industrialisierten Norden des Landes und unterscheiden sich vor allem im Bildungsgrad: Nur etwa sechs Prozent der Kunden haben einen Hochschulabschluss, während die Mehrzahl Hauptschulabsolventen oder Schulabbrecher sind. Das Durchschnittsalter liegt bei 44 Jahren.

Und was sind die Probleme, die man mit Hilfe des Übersinnlichen lösen will? Im Vordergrund steht immer noch die Liebe. 46 Prozent der Fragen zielen auf dieses Thema. Es folgen Gesundheit, Schutz (von Engeln, gegen den bösen Blick usw.) und zuletzt die Arbeit. Viel wird mit Worten getan, aber manchmal werden auch Rituale durchgeführt oder wird ein Zaubertrank zubereitet, den man entweder selber nehmen soll oder auch anderen verabreicht.

Mit ihren Dienstleistungen, so Marino Niola, Professor für Ethnologie und Symbolistik in Neapel, »antworten die sogenannten Magier in erster Linie auf die Einsamkeit, die Unsicherheit und die Zerbrechlichkeit der Menschen. Sie geben also falsche Antworten auf richtige Bedürfnisse.« Dann fügt der Professor, dessen bekanntestes Buch »Totem und Ragù« ist, in dem er den diffusen Aberglauben in Italien analysiert, hinzu: »Wir sagen, dass die Antworten falsch sind. Aber einen gewissen Placebo-Effekt werden sie wohl haben. Sonst würden die Leute ja nicht weiter hingehen …«.

Marino Niola wundert sich auch nicht darüber, dass die Mehrzahl der Menschen, die »Magier« aufsuchen, in Norditalien lebt, und nicht im verhältnismäßig rückständigen Süden des Landes. »Im Süden hat die Religion häufig magische Züge. Da wird der Heilige Aspreno verehrt, der besonders gegen Kopfschmerzen einschreitet (er war auch der Namensgeber von unserem Aspirin) oder der Heilige Biagio, der auf Halsschmerzen spezialisiert ist. Aber vor allem unternehmen die Menschen viele Wallfahrten zu irgendwelchen Heiligtümern. Und die sind eben für die Allgemeinmedizin zuständig!«

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