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Zäh, treu, flink
Gisela Elsner kann das Fürchten lehren
Die Naivität von Kindern gilt als etwas besonders Schönes, Bewahrenswertes. Oft diente der kindliche Blick Schriftstellern dazu, die Erwachsenenwelt in ihrer Abkehr vom Natürlichen, »Normalen« zu entlarven. Ganz anders verfährt Gisela Elsner (1937-1992) in ihrem Roman »Fliegeralarm«: Die Naivität ihrer kindlichen Helden ergibt sich aus dem unbedingten Glauben an das, was offiziell gelehrt wird. Zeitpunkt: Ende des Zweiten Weltkriegs während der Bombenangriffe auf deutsche Städte. Ort: eine Stadtrandsiedlung mit noch ganzen und schon kaputten Häusern, in denen sich eine Kindergang ihre Welt geschaffen hat – mit zukünftigem Führer, SA-Männern, der Ehefrau des Oberscharführers, eigener Währung aus Bombensplittern, zuletzt gar mit einem eigenen KZ-Häftling. Gemäß der Führerformel sind sie zäh, treu und flink.
Ein makabrer Einfall, der die barbarische Ideologie des Nationalsozialismus auf eine Weise bloßstellt, dass man die Gänsehaut beim Lesen nicht los wird. Hier kann man das Fürchten lernen – ein böses Märchen in realer Zeit. Die Kleinen sind Monster, weil sie offizielle Propaganda ernst nehmen. Ruinen als Hexenhäuser, die in KZs umgewandelt werden.
Es ist der letzte zu Lebzeiten von Gisela Elsner erschienene Roman. Aber wen interessierte 1989 schon das böse Buch einer Autorin, die mit ihrer Rigorosität, ihrer Kapitalismuskritik schon genug genervt hatte! Die Medien, die es zur Kenntnis nahmen, wussten kaum etwas damit anzufangen. Es dauerte noch wenige Jahre bis der Bombenkrieg als deutsche Opferchronik thematisiert wurde. Gisela Elsners Buch, das bald schon vergessen war, ist eine rabenschwarze provokante Antwort auf das Gejammer um deutsches Leid. Konsequent verteidigen und lieben Elsners Protagonisten ihren Krieg und die Bombenangriffe, denn sie haben ja diesen Krieg gewollt! Die Erinnerung daran hätte der damaligen Diskussion gut getan!
Verdienstvoll, dass der Verbrecher Verlag innerhalb der Werkausgabe von Gisela Elsner auch dieses Buch neu aufgelegt hat. Zu den unvergessenen literarischen Kindern des Zweiten Weltkriegs – zu Oskar Matzerath (Günter Grass) und Nelly Jordan (Christa Wolf) und Jette (Helga Schütz) und den anderen – gehören der Führer in spe Wolfgang Wätz und Lisa Welsner mit Bruder Kicki unbedingt.
Gisela Elsner: Fliegeralarm. Roman. Verbrecher Verlag. 282 S., brosch., 14 €.
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