Unter Brücken und in der Anwaltskanzlei
Günter Wallraff: »Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere«
Günter Wallraffs »Expeditionen ins Landesinnere«, so der Untertitel seines jüngsten Buches, erweisen sich als gewagte Einsätze eines Einzelkämpfers. Sie erinnerten mich an jenen weißen Amerikaner, der sich in den siebziger Jahren als Schwarzer dem US-amerikanischen Alltag in den Südstaaten stellte und danach das erschütternde Buch »Black like me« verfasste. Die Erfahrungen, die Wallraff zeit seines Lebens machte und in seinen Büchern festhielt, nimmt ihm keiner. Und auch nicht die Hochachtung dafür!
Er hat sich in unserer Welt, der »schönen neuen«, wieder einmal eingebracht, hat sich als Schwarzer umgetan, hat als Obdachloser unter Brücken gefroren, sich als Callagent unter Callagenten gemischt, für Lidl Brötchen gebacken – und hat aufgedeckt, was dort aufzudecken war. Nicht überall war er selbst dabei, sondern beschränkte sich auf Gesprächspartner, war kein Koch in der Luxusgastronomie, kein »Barista« bei der Kaffeehaus-Kette Starbucks, wurde nicht als Beschäftigter der Deutschen Bahn ausspioniert und aufs Abstellgleis geschoben und war kein Opfer von »Arbeitsgebermobbern und Betriebskillern« – und doch haben mich die nahezu fünfzig Seiten, die davon handeln, keinen Deut weniger beeindruckt. Im Gegenteil, ich halte sie für die brisantesten. Und politisch weitest reichenden.
Seit der Lektüre kann ich mir ein Bild von den Machenschaften von Helmut Naukos machen, jenes Düsseldorfer Anwalts, den Wallraff einen »Anwalt des Schreckens« nennt. Für Spitzenhonorare legt es jener Jurist darauf an, Betriebsräte, die seinen Mandanten unliebsam sind, zum Aufgeben zu zwingen. Was er mitunter auch schafft.
Seine Methoden reichen von Rufmord bis zur Anstiftung von Tätlichkeiten. Plötzlich tauchen an den Arbeitsplätzen Flugblätter auf, die diesem oder jenem Betriebsrat unterstellen, er habe nicht das Wohl der Belegschaft, sondern nur das eigene im Sinn, wolle hoch hinaus oder auch nur eine Abfindung erpressen ...
Solche Unterstellungen werden bei den Beschäftigten zunächst Empörung auslösen, etwas aber bleibt immer hängen, nagt am Vertrauen, und wenn dann noch dem Betroffenen gerichtliche Verfahren angehängt werden – auch wenn diese sich allesamt als unhaltbar erweisen – dann zermürbt das. Selbstredend übernehmen die Naujoks' Mandanten die Kosten für die Verfahren, sie zahlen auch für Bespitzelungen, wie sie von der Anwaltskanzlei inszeniert werden.
Die Betriebsrätin Rita Regenfelder, so schildert es Wallraff, wurde in ihrer Freizeit überwacht und fotografiert, der Betriebsrat Roland Renger ständig von einem Auto verfolgt, und – hatte auch hier jener »dienstleistende europäische Anwalt« die Hand im Spiel? – der Betriebsratsvorsitzende der Firma Doppstadt in Calbe wurde auf dem Weg zur Aussprache mit der Belegschaft hinterrücks überfallen. »Jemand zog ihm einen blauen Müllsack über den Kopf, er wurde zusammengeschlagen. Der Täter konnte nicht ermittelt werden. Kurz nach dem Überfall, der Betriebsratsvorsitzende lag noch krank zu Hause, gaben die Betriebsräte auf ...«
Ein Glanzstück ist es, wie es Wallraff am Ende gelingt, sich als hilfesuchender Unternehmer bei dem Düsseldorfer Anwalt einzubringen und dessen Tricks, Schliche und Winkelzüge vor Ort zu erfahren. Er könne, erklärt er dem Juristen, in seinem Betrieb vermutlich eine Frau finden, die bereit wäre, einem unliebsamen Mitarbeiter eine sexuelle Nötigung unterzuschieben. Ob er, Naujoks, wohl bei der Suche nach einer solchen Frau behilflich sein könne? Aufgrund seiner Erfahrungen müsse er doch einschätzen können, ob solch eine Zeugin vor Gericht die Nerven behalten würde. »Naujoks weist das nicht etwa empört von sich«, schildert Wallraff, »sondern meint, dass man sich das schon genau anschauen müsse. Wenn die Möglichkeit besteht, dann soll man das auch machen.«
Günter Wallraff: Aus der schönen neuen Welt. Expeditionen ins Landesinnere. Verlag Kiepenheuer & Witsch. 325 S., brosch., 13,95 €.
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