Volker Koepp: Reise eines Films in alte Filme

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 5 Min.
Volker Koepp (links) beim Nachkriegs-Kinderspiel in Berlin-Karlshorst: »Eins zwei drei vier fünf sechs sieben,/ wo ist denn mein Schatz geblieben?/ In Berlin, in Stettin,/ wo die Rosen zweimal blühn.«
Volker Koepp (links) beim Nachkriegs-Kinderspiel in Berlin-Karlshorst: »Eins zwei drei vier fünf sechs sieben,/ wo ist denn mein Schatz geblieben?/ In Berlin, in Stettin,/ wo die Rosen zweimal blühn.«

Ein Filmemacher wird 65, und zum Geburtstag dreht er sich einen Film. Die Städte, die dessen Titel bilden, sind sein Geburtsort und der Ort seiner Kindheit und Erwachsenenjahre respektive. Die Landschaften, deren Schönheit sein Kameramann leuchten und leben lässt, wie das nur dieser Kameramann kann, liegen dem Regisseur ganz besonders am Herzen – und längst bestimmt auch diesem Kameramann.

Die wenigen Texte, die der Filmemacher nicht selbst liest, sondern von einer renommierten Schauspielerin sprechen lässt, haben sein Leben begleitet. Die Menschen, die er vor die Kamera holt, sind Weg- und Zeitgenossen. Etliche waren Helden seiner vorangegangenen Filme, einige sind neu hinzugekommen. Und einer, der einmal prägend war, der Vater eines Freundes und Mitarbeiters, strahlt in den Bildern eines frühen Kurzfilms noch immer so sanft verschmitzt wie eh und je von der Leinwand, einer Regiearbeit, die auch bald vier Jahrzehnte zurückliegt.

Eigentlich wollte Volker Koepp gar keine Dokumentarfilme drehen. Dann rollten sowjetische Panzer durch Prag, der Babelsberger Filmstudent gehörte Kreisen an, die das nicht still mit ansehen mochten, und musste zur Bewährung einen Film über die Arbeiterklasse einschieben. Wenn die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings einen einzigen positiven Nebeneffekt gehabt hat, dann sicher diesen: aus Volker Koepp einen Dokumentarfilmer gemacht zu haben.

Gut vierzig Jahre und rund fünzig Filme später ist »Berlin – Stettin« so etwas wie die filmische Version der Rede, wie sie manch’ langjährig Beschäftigter von seinem Chef zum Abschied wohl gern würde hören wollen – ein Resümee der wichtigsten privaten und beruflichen Stationen. Eine Bestandsaufnahme in Momentaufnahmen, eine Gegenüberstellung von damals und heute im Farbmaterial der modernen und dem gediegenen Schwarzweiß der nun schon historischen Aufnahmen. Ein Film, den der Fan im schönen Bewusstsein genießen kann, dass da ein 65-Jähriger seine besten Arbeiten wohl noch vor sich hat.

In Berlin-Karlshorst beginnt Volker Koepps filmische Zwischenbilanz, an der Ecke Gundelfinger und Dorotheastraße, mit der Schulfreundin, den gemeinsamen Erinnerungen an Milch, die es bis lange nach Kriegsende nur auf Marken gab, an Kartoffelschalen, die sich gegen Brennholz tauschen ließen, und an den Verkauf von stiebitzten Bleirohren aus Kriegsruinen – ein Jungending, sagt die Schulfreundin da, und dass sie sich das nie getraut hätte.

Erinnerungen an S-Bahn-Fahrten ins Grenzkino mit Westprogramm – und an die Panzer auf der Treskowallee am 17. Juni 1953. Dann springt Koepp in der Chronologie, landet in Broda bei Neubrandenburg, wo seine Mutter, seine Schwestern und er auf der Flucht aus Stettin Station machten, wohin er in den folgenden Jahren in den Sommerferien zurückkehrte, wo seiner Mutter von russischen Soldaten Gewalt angetan wurde – privateste Geschichte, die in der großen Weltgeschichte verschwimmt. Seiner Mutter ist sein Film denn auch gewidmet.

In Stettin schließlich endet er, wo Koepps Geburtshaus noch steht, seine filmische Aufmerksamkeit aber viel eher den polnischen Studenten gilt, die deutsch-polnische Befindlichkeiten mit ihrem neuseeländischen Professor auf Deutsch diskutieren. Berlin und Stettin bilden nur die Klammer. Wichtiger sind die Stationen in Schwaan, Wittstock und Zehdenick, die hügeligen Flusslandschaften der Uckermark, die Menschen und menschengemachten Landstriche zwischen Elbe, Ostsee und Oder. Gegenden, denen Koepp vor seinem Ausschwärmen in weiter entfernte Ostgebiete den größten Teil seiner DEFA-Jahre widmete. Langsam fängt das an, mit leisen Tönen und sehr persönlichen Momenten, und steigert sich zum Crescendo mit komischen Einschüben, zu einer Geschichtsstunde, die sich aus lauter gelebten Leben ergibt, aus Flucht, Vertreibung und Wiederbesiedelung, Zerstörung und Wiederaufbau, Teilung und Wiedervereinigung, aus Migrationsbewegungen von Ost nach West und auch mal retour.

Da kommt Elsbeth noch einmal zu Wort, genannt Stupsi, der bildhübsche Kobold aus den »Wittstock«-Filmen, die nach Wende, Wiedervereinigung und Arbeitsplatzverlust, nach Umschulungen und prekären Jobs wieder ein festes Auskommen hat und die stolz auf den properen Zustand der restaurierten Altstadt von Wittstock verweist. Aber: auch von randalierenden Rechtsextremen berichtet und von der großen Interesselosigkeit, die sie bei Jugendlichen beobachtet. Und Renate, die aus Breslau stammt, in Sachsen aufwuchs, nach Wittstock geholt wurde, um Mädchen wie Stupsi anzulernen, berichtet vom Tod ihrer Schwester, von der Knochenarbeit als Zimmermädchen und vom Geprügeltwerden in der Ehe – und findet trotzdem noch Gründe, sich am Leben zu freuen. Und die Fragen des Regisseurs gefallen ihr viel besser als die früheren.

Im havelländischen Zehdenick kommen die ehemaligen Ziegelei-Arbeiter noch einmal in der Kneipe zusammen, die Koepp vor, während und nach der Wende in der »Märkischen Trilogie« porträtierte, und man kann es kaum glauben, dass die Arbeiter mal so geschuftet haben sollen, wie er es in seinen Filmen festhielt. Vom Alkohol erzählen sie, der die unmenschlichen Bedingungen erträglich machte, und sie sind sich einig, dass sie die alten Zeiten nicht wiederhaben möchten, auch wenn einer, der hinterpommersche Kriegsvertriebene Bruno Olschewski, den allmählichen Verfall der Ziegeleianlagen nostalgisch beobachtet, weil hier Natur zurückerobert, was mal Arbeitsplatz war.

Koepp besucht Anetta Kahane in ihrem kleinen Sommerhaus inmitten von Maisfeldern und Fritzi Haberlandt aus Berlin-Köpenick, Zugezogene. Haberlandt liest Bobrowski für ihn und jenen Kinderreim zum Hüpfspiel, der dem Film den Titel gab. Und da ist auch Karin, die ehemalige Schweißerin, die schon vor gut dreißig Jahren in »Tag für Tag« ein kesses Mundwerk im Betrieb bewies, die inzwischen nicht mehr arbeitet, aber immer noch in der Gewerkschaft und als ehrenamtliche Richterin aktiv ist und mit ihrer schieren Lebenskraft auch diesmal fast die Leinwand sprengt – von ihrer hochbetagten Mutter ganz zu schweigen.

Da möchte man die alten Filme noch mal sehen, »Gustav J.«, »Tag für Tag« und »Haus und Hof«, die »Wittstock«-Reihe und die »Märkische Trilogie«.Möchte wissen, was die Ostseefischer aus »Arkona-Rethra-Vineta« wohl von den Fangquoten halten, und ein paar Stunden länger noch die Wellen an den Strand branden sehen, die Thomas Plenert wie ein bewegtes Kunstwerk filmt.

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